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blut_und_wasser

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blut_und_wasser [2018/06/18 19:06]
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 Also gingen wir nach Abendheim. Ich mochte die Ansiedlung. Hier waren die Menschen viel entspannter als in Traumburg. Man konnte ungezwungener mit den Leuten in den Schenken plaudern und die Straßen waren auch viel sicherer. Naja, jetzt wo ich mit den Zwergendieben anrückte, wohl nicht mehr. Aber wir hatten uns vorgenommen, nur schnell Lebensmittel zu kaufen und dann wieder ins Grün zu wandern. Also gingen wir nach Abendheim. Ich mochte die Ansiedlung. Hier waren die Menschen viel entspannter als in Traumburg. Man konnte ungezwungener mit den Leuten in den Schenken plaudern und die Straßen waren auch viel sicherer. Naja, jetzt wo ich mit den Zwergendieben anrückte, wohl nicht mehr. Aber wir hatten uns vorgenommen, nur schnell Lebensmittel zu kaufen und dann wieder ins Grün zu wandern.
  
-Wir hatten Glück, heute war Markttag und die Auswahl war für dieses kleine Dorf recht beachtlich. An einem Stand, der verschiedene Arten von Bögen und Armbrüste feilbot, blieb ich stehen und betrachtete die Kurzbögen. So einen wollte ich immer schon haben. Vielleicht würden wir ja doch zumindest einen normalen Schatz finden. Und wenn die Brüder wenigstens halbwegs gerecht mit mir teilten, würde ich mir vielleicht solch einen Bogen leisten können. Wo waren die Gesellen eigentlich, ich hatte sie beim Betrachten der Auslage des Marktstandes ganz aus den Augen verloren. Hoffentlich machten sie keinen Unsinn, dachte ich noch, als von dem Stand des Hühnerzüchters Roland Geschrei zu mir herüberdrang. „Räuber, Diebe, haltet sie!“ Wie ein geölter Blitz rannten die Zwerge über den Marktplatz. Ich wunderte mich, dass sie mit ihren kurzen Beinen überhaupt so schnell laufen konnten. Zwar war auch ich nicht viel größer, aber dafür umfasste mein Körperumfang nur ungefähr die Hälfte von dem, was die Brüder jeweils mit sich herumzuschleppen hatten. Doch  ihre beherzte Rennerei nützte den dreien nicht viel. Mehrere kräftige Bauern stellten sich den Flüchtenden in den Weg und hoben drohend ihre Fäuste.+Wir hatten Glück, heute war Markttag und die Auswahl war für dieses kleine Dorf recht beachtlich. An einem Stand, der verschiedene Arten von Bögen und Armbrüste feilbot, blieb ich stehen und betrachtete die Kurzbögen. So einen wollte ich immer schon haben. Vielleicht würden wir ja doch zumindest einen normalen Schatz finden. Und wenn die Brüder wenigstens halbwegs gerecht mit mir teilten, würde ich mir vielleicht solch einen Bogen leisten können. Wo waren die Gesellen eigentlich, ich hatte sie beim Betrachten der Auslage des Marktstandes ganz aus den Augen verloren. Hoffentlich machten sie keinen Unsinn, dachte ich noch, als von dem Stand des Hühnerzüchters Roland Geschrei zu mir herüberdrang. „Räuber, Diebe, haltet sie!“ Wie ein geölter Blitz rannten die Zwerge über den Marktplatz. Ich wunderte mich, dass sie mit ihren kurzen Beinen überhaupt so schnell laufen konnten. Zwar war auch ich nicht viel größer, aber dafür umfasste mein Körperumfang nur ungefähr die Hälfte von dem, was die Brüder jeweils mit sich herumzuschleppen hatten. Doch ihre beherzte Rennerei nützte den dreien nicht viel. Mehrere kräftige Bauern stellten sich den Flüchtenden in den Weg und hoben drohend ihre Fäuste.
  
 „Habt ihr etwa versucht, unserem Roland ein Hühnchen zu stehlen?“, polterte einer von ihnen. „So etwas dulden wir hier nicht“, brüllte ein anderer. Immer mehr Dorfbewohner kamen herbei, sodass die Zwerge regelrecht eingekesselt wurden. Gackernd hüpfte tatsächlich ein Huhn aus Heinrichs Wams. „Habt ihr etwa versucht, unserem Roland ein Hühnchen zu stehlen?“, polterte einer von ihnen. „So etwas dulden wir hier nicht“, brüllte ein anderer. Immer mehr Dorfbewohner kamen herbei, sodass die Zwerge regelrecht eingekesselt wurden. Gackernd hüpfte tatsächlich ein Huhn aus Heinrichs Wams.
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-Der nächste Morgen war anders als der letzte. Ziemlich ratlos sammelte ich meine Habseligkeiten zusammen, die mir aus den Taschen gefallen waren, als ich des Nachts torkelnd zum Pinkeln in die nahe gelegenen Büsche gegangen war. Wo sollten wir nun hin. Es sah fast aus, als ob die Zwerge, durch Golos nächtlichen Wutanfall befeuert, den Anweisungen des Vaters nicht mehr Folge leisten wollten. Doch was nun? Und was wurde dann aus meinem Auftrag? Wie konnte ich dann die drei Zwergendiebe überführen? Und wollte ich das überhaupt noch? Als wir zum Aufbruch bereit waren, schlugen die Zwerge vor, erst einmal nach Gomoa zu gehen. Das Bier sollte dort stark und die Wirtshausschlägereien rau sein. Ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Sogar die derbe Wesensart der drei Brüder fand ich mehr und mehr sympathisch. Und die Idee, nach Gomoa zu gehen, gefiel auch mir. Dort veranstaltete man regelmäßig Barfußcrossläufe. Das wäre etwas für mich. Ich blickte auf meine haarigen Füße. Die halten einiges aus. Das wird ein Spaß! Scherzend gingen wir also in Richtung der Halborkstadt. Wir sahen schon von weitem das hohe Stadttor, als sich uns plötzlich vier bewaffnete Halblinge in den Weg stellten. Ich traute meinen Augen nicht. Es war Geraldo mit Matti, Bürgi und Steini im Schlepptau. „Soso, wen haben wir denn da?“, fragte Geraldo süffisant, „warum haben wir von dir noch keine Meldung erhalten. Ich wusste es, dass du es nicht schaffst die drei Dickwanste hier zu überführen, du Niete! Stattdessen trödelst du mit ihnen hier fröhlich durch die Lande.“ Mein Kollege aus Grent hatte es mir also doch übel genommen, dass ich den Auftrag erhalten hatte, mich bei den Zwergendieben einzuschleusen. Dass er gerne an meiner statt die Zwerge ausliefern und sich dadurch seine Beförderung sichern wollte, wusste ich. Doch dass er mich dafür sogar bis nach Gomoa verfolgt, hätte ich nicht gedacht. Aber was hatte ich anders von Geraldo erwartet. Der lügenhafte Intrigant hatte sich den Auftrag schließlich auch noch selbst versaut, da er dabei erwischt wurde, Bestechungsgelder anzunehmen. Und jetzt steht dieser 11 Abschaum tatsächlich mit seinen Schergen vor mir. Was er vorhatte, konnte ich mir schon denken. „Haben wir euch endlich, ihr Diebespack. Wollen wir doch mal sehen, was ihr in den Taschen habt. Das sollte dann ja Beweismittel genug sein.“ Geraldo griff Thoma in die Taschen, der sich nicht schnell genug dagegen wehrte, und brachte einen Smaragdring zum Vorschein. „Aha, Diebesbeute! Und Du Arno, wann gedenkst du endlich die drei dingfest zu machen, wie es deine Aufgabe war?“ Die drei Zwerge schauten mich an. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Alles wäre in dieser Situation falsch gewesen, also schwieg ich und schaute Geraldo nur aus zusammengekniffenen Augen an. „Das ist mein Ehering“, rief Thomas aus, „er wurde ehrlich erworben und ist sicherlich nicht gestohlen. Gib ihn mir sofort zurück!“ „Halt Dein dummes Maul, du ungewaschener Zwerg!“, herrschte ihn Geraldo an und steckte den Ring in seine Tasche. Ihr seid hiermit verhaftet, wir bringen euch nach Grent, dann geht es hinter schwedische Gardinen. Legt eure Waffen ab.“ „Wir denken ja gar nicht dran, du Pfeife!“ Golos gewohnt provokanter Tonfall war in dieser Situation tatsächlich einmal angebracht. „Wenn du unsere Waffen willst, musst du sie dir schon selbst nehmen, du Pflaume.“ Alle drei Zwerge zogen ihre Äxte und machten sich kampfbereit, die drei Halblinge stürzten sich auf sie. Ich schaute mir das Geschehen kurz ein wenig irritiert an, dann griff ich nach meiner Schleuder und zielte auf Geraldos Kopf. Sein alberner Helm rutsche ihm über die Augen, als der Stein gegen ihn schlug. „Ja, bist du deppert? Was soll das?“ rief Geraldo halb verdutzt, halb wütend.“ Doch ich hatte mich schon zu den Zwergen gestellt und zog mein Schwert. Der Kampf dauerte ungefähr eine halbe Stunde. Als die vier liederlichen Halblinge schließlich blutend und fluchend das Weite gesucht hatten, verband ich Thoma den Arm. Er schien gebrochen zu sein. Auch Heinrich konnte sich kaum auf den Beinen halten. Wir mussten schleunigst nach Gomoa, um die beiden zu versorgen. Was danach geschehen würde, mochte ich mir nicht vorstellen. Es herrschte betretenes Schweigen, als die Zwerge und ich uns in die Halborkstadt schleppten. Kurz bevor wir an dem Stadttor ankamen, traf mich plötzlich eine Faust. Als ich die Augen wieder aufmachte, stand über mir Golo und sah mich grimmig an. „Steh auf, du Verräter, damit ich dir noch eine verpassen kann“, brüllte er und versuchte, mich am Kragen auf die Beine zu ziehen. Ich ließ es geschehen und stellte mich aufrecht hin, 12 um bereitwillig den nächsten Schlag entgegenzunehmen. Ich hatte das Gefühl, dass ich ihn verdient hatte, also blieb ich nur schlaff stehen. Golo holte ein zweites Mal aus, doch er ließ seinen Arm wieder sinken. Stattdessen warf er sich auf mich und riss mich wieder zu Boden. Lange wälzten wir uns so auf dem schlammigen Untergrund hin und her. Golo rief immer wieder „Verräter! Verräter!“ Dann blieben wir erschöpft liegen. Die anderen beiden Brüder starrten nur ausdruckslos auf uns herunter. Dann merkte ich plötzlich, dass Thoma neben mir weinte. „Ich dachte, du meinst es ernst mit uns“, stieß er mit gebrochener Stimme hervor. „Als wir gegen die Harpyien gekämpft und dir danach unser Herz ausgeschüttet hatten, dachte ich, du gehörst zu uns. Aber du bist doch nur ein mieser, kleiner Spitzel, der sich nicht zu schade ist, sein Geld damit zu verdienen, andere hinters Licht zu führen.“ „Nun, viel besser seid ihr aber auch nicht“, machte ich einen schwachen Verteidigungsversuch. „Immerhin hattet ihr zu Beginn der Reise vor, eurem Vater nachzueifern. Besonders ehrlich ist sein Beruf auch nicht.“ „Aber er hat Ehre!“, rief Thoma. „Ihm ist völlig klar, wer die Seinen sind, und er verhält sich auch entsprechend. Mag er auch noch so ein herrschsüchtiges Ekel sein. Niemals würde er einem Kumpan in den Rücken fallen. Das macht man einfach nicht.“ Was sollte ich dazu sagen? Thoma hatte Recht und ich fühlte mich elendig. Das Einzige, was ich jetzt noch tun konnte, war die Verletzten nach Gomoa zu schaffen und mich dann aus dem Staub zu machen. Doch wo sollte ich hin? Während ich zusammen mit Golo den verletzten Heinrich schleppte, der immer wieder ohnmächtig zu werden schien, wurde mir allmählich klar, dass das Leben, so wie ich es kannte, jetzt endgültig vorbei war. Geraldo und seine treudoofen Schergen werden natürlich in Grent sofort von meinem Überlaufen erzählen. Ab dann war ich auf der Flucht. So leicht würden mein Chef und Geraldo es mir nicht machen. Sie werden mich durch ganz Ultimor jagen und wenn sie mich gefunden haben, werden sie mich vor einem Disziplinargericht verurteilen. Ach, was rede ich, sie werden mich an Ort und Stelle abmurksen und meine Leiche verstecken. Ich fing an zu rechnen: Bis die vier in Grent ankommen, würden einige Tage vergehen, immerhin waren sie nicht weniger verletzt als wir. Doch dann würde es für mich haarig werden. Ich weiß nicht, was ich mehr bedauern sollte, den Verlust meines Jobs, meiner Existenz, meines bisherigen Lebens oder die ständige Angst, der ich von nun an ausgesetzt war, bis sie mich finden werden. Endlich kamen wir in Gomoa an. Das Geld für den Einlass am Stadttor konnten wir gerade noch so bezahlen. Für ein Zimmer in einem Gasthaus reichte es nicht mehr. Ich gab den 13 Zwergen meinen Knochentalisman, den ich von meinem Vater erhalten hatte, und sagte, sie sollen ihn zu Geld machen für ein Hotelzimmer und einen Orkschamanen, der sich um Thoma und vor allem Heinrich kümmern sollte. Ich würde im billigsten Zimmer des Gasthauses übernachten und morgen fort sein. Mehr könne ich nicht tun. Die Zwerge nahmen den Knochentalisman fast respektvoll. „Von deinem Vater ist er, Arno?“, fragte Golo und drehte den hübsch gearbeiteten Talisman, dem man ansah, dass er schon sehr viele Jahrzehnte alt war, zwischen den Fingern. „Das ist mein wertvollster Besitz“, sagte ich und blickte auf den Wirtshaustisch. „Das ist alles, was ich noch geben kann. Es tut mir leid. Kümmere dich jetzt bitte um Thoma und Heinrich.“ Thoma stöhnte, er musste dringend seinen Arm fachgerecht schienen lassen. Und wenn Heinrich nicht bald ärztliche Hilfe bekam, würde es schlimm für ihn ausgehen. Golo sah verzweifelt den Wirt an, der bereits herbeigeeilt war und mitteilte, dass sein Gehilfe schon Magnatz, den Orkschamanen, gerufen habe. Er werde bald da sein. Tatsächlich trat nach wenigen Minuten ein gewaltiger Halbork durch die Wirthaustür. Er hatte grüne Haut und gewaltige Hauer im Gesicht. Doch er sprach zu uns mit einer freundlichen Stimme und bat Golo und mich, die beiden Verletzten in den Nebenraum zu bringen, in dem an jedem Abend Karten gespielt wurde, der aber jetzt noch leer war. Als er wieder herauskam, bestellte er Milch mit Schnaps, nahm einen großen Schluck und sah den sichtlich besorgten Golo und mich an. „Der stark verletzte Zwerg wird es schaffen. Er ist wieder bei Bewusstsein, schläft aber jetzt auf einem Heuhaufen in der Ecke des Zimmers. Gebt ihm regelmäßig von diesem Trunk.“ Der Schamane hielt uns ein Fläschchen mit einer milchigen, widerlich riechenden Flüssigkeit entgegen. „Karak-Milch“, sagte er, „sie wird ihm helfen, wieder zu Kräften zu kommen. Der andere hat den Arm gebrochen. Ich habe ihn mit einem Kräutersud eingerieben und geschient. Er wird in wenigen Wochen wieder wie neu sein. Jetzt kommen wir zu meiner Bezahlung.“ Golo gab ihm zögernd den Knochentalisman und sah mir vorher noch einmal in die Augen. Ich deutete mit einem Kopfnicken an, dass er es in Ordnung ist. Der Schamane nahm den Talisman und betrachtete ihn. „Er ist viel wert. Mehr wert als meine Heilkunst. Bitte nehmt das hier als Wechselgeld.“ Der Schamana gab Golo eine Handvoll Münzen. Dieser wollte mir das Geld geben, doch ich wehrte ab und sagte, dass damit das Zimmer im Gasthaus und das Essen für ein paar Tage bezahlt werden könnten. Ich selbst würde mich morgen auf den Weg machen. 14 „Wir haben nur Mehrbettzimmer“, knurrte der Wirt. „Ihr Winzlinge könnt euch ein Zimmer teilen… und dann wäre immer noch Platz für zwei Mann. Seid froh, dass es keine weiteren Gäste gibt.“ Ich schaute Golo zweifelnd an, doch dieser bedeutete mir, wenn auch Augen rollend, dass es in Ordnung sei, wenn ich mit den Zwergen in ihrem Zimmer schliefe. Wirklich recht schien es ihm also doch nicht zu sein. Aber er brachte es wohl auch nicht übers Herz, mich in die nächtliche Kälte hinauszuschicken, nachdem ich den Schamanen entlohnt und das Wirtshauszimmer für die Zwerge bezahlt hatte. Wir verfrachteten die beiden Verletzten in ihre Betten. Heinrich schlief bereits so tief, dass wir ihn nicht aufwecken konnten und die Treppen hinaus tragen mussten. Thoma hielt seinen Arm und wollte auch sofort schlafen. „Es tut mehr weh als vorher“, beklagte er sich. Aber der Schamane hatte uns gesagt, dass die Tinktur, mit der er den gebrochenen Arm von Thoma eingerieben habe, seine volle Wirkung entfaltet habe, wenn sie anfinge auf der Haut zu brennen. Dass Thoma zeterte war also ein gutes Zeichen. Auch Golo und ich legten uns ins Bett. Als dieser ebenfalls eingeschlafen war, fing ich an, meine Sachen zusammenzusuchen. Auch wenn Golo mich in dem Wirtshauszimmer übernachten ließ, war ich nur geduldet. Und ich wollte so schnell wie möglich aus dieser Schmach, in die ich mich selber gebracht hatte, ausbrechen. Nur noch fort von hier, dachte ich, während ich die wenigen Habseligkeiten, die ich mit mir führte, zu einem Bündel zusammenschnürte und aus dem Zimmer schlich. Es war schon dunkel und ich irrte durch die Straßen auf dem Weg Richtung Stadttor. Als ich das Gefühl hatte, die Orientierung nun völlig verloren zu haben, stand ich in einer kleineren Gasse plötzlich mehreren abgerissenen Halborks gegenüber. „Dein Geld, wird’s bald!“, rief der eine. „Hab kein Geld! Lasst mich zufrieden“, entgegnete ich und bereute sofort den Tonfall, den ich angeschlagen hatte. „So bloß nicht so frech, du halbe Portion“, kam es direkt von dem zweiten Halbork zurück, dabei schwang er drohend seine Keule. Ich wich zurück. Plötzlich hörte ich ein dumpfes „Klonk“ und sah wie Blut über das Gesicht des Halborks lief. Er war von etwas getroffen worden. Der dumpfe Laut wiederholte sich und er stürzte zu Boden. Die anderen Halborks zogen sich feige zurück. Da trat Golo aus dem Schatten, eine Schleuder in der Hand. „Du musst dich auch immer wieder in neuen Schlamassel begeben“, sagte er tadelnd, grinste aber dabei. „Das soll dir eine Lehre sein, geh niemals ohne einen Freund auf die nächtlichen Straßen einer Stadt, die du nicht kennst.“ 15 „Heißt das…?“, fragte ich zögernd? „Genau das heißt es“, entgegnete Golo, „egal, was du getan hast. Du hast, als es drauf ankam, zu uns gestanden. Und du warst bereit, uns deinen wertvollsten Besitz zu geben. Du gehörst zu uns, daran besteht nun kein Zweifel mehr. Aber jetzt lass uns schnell zurück ins Gasthaus, ehe diese Made hier wieder aufwacht.“ Als er dies sagte, griff er in die Taschen des bewusstlosen Halborks und holte ein paar Münzen, aber auch einen kleinen Edelstein hervor. „Aha, hast wohl noch mehr Leute ausgeraubt, du Dieb“, sagte Golo grinsend uns fügte hinzu: „Wenn man einen Dieb, der einen bestehlen wollte, ausraubt, ist es eigentlich kein Verbrechen, sondern nur ausgleichende Gerechtigkeit, nicht?“ Ich konnte nicht anders und musste ebenfalls grinsen. Dann gab mir Golo den Edelstein. Er war nur so groß wie ein Fingernagel, aber er schien kunstvoll geschliffen zu sein. „Es ist nicht das Familienerbstück, das du für uns hergegeben hast, aber vielleicht kannst du den Stein als Neuanfang sehen… mit einer neuen Familie.“ Golo schaute mich hoffnungsvoll an und fügte leise hinzu: „Uns?“ Mir traten Tränen der Rührung in die Augen und ich umarmte den Zwerg herzlich. „Du ungehobelter, versoffener Zwerg“, sagte ich lächelnd. „Du Unkraut rauchender, hässlicher Wicht“, entgegnete er ebenfalls mit einem Lächeln im Gesicht. Dann lachten wir richtig und begaben uns zurück zum Gasthaus. Der Halborkdieb regte sich schon langsam wieder. Als wir das Gasthauszimmer betraten, waren Heinrich und Thomas wach und schauten ihren Bruder und dann mich an. „Er hat dich gefunden. Gott sei Dank. Wir dachten schon, du seiest über alle Berge“, sagte Thoma. „Bin aufgehalten worden“, antwortete ich. Dann schaute ich die beiden ernst an. „Und ihr wollt auch, dass ich bei euch bleibe?“ „Auch wenn du uns ganz schön in die Bredouille gebracht hast, so kannten wir noch niemanden, der sich so für uns eingesetzt hat wie du, Arno. Und wo sollst du auch sonst hin? Deine Karriere als Polizist scheint ja zu Ende zu sein. Oder willst du uns immer noch ausliefern?“ „Nein, nein. Auf keinen Fall. Und eine Polizeiwache will ich auch nie wieder von innen sehen. Aber was habt ihr jetzt vor. Wollt ihr eure Diebes-Walz weiterführen?“ Golo schaute mich ernst an. „Wir wollen auf jeden Fall weiterreisen. Aber stehlen, betrügen, rauben? Nein. Aber von der Welt wollen wir schon noch ein bisschen sehen. Und vielleicht findet sich ja auf unserem Weg ein Tischlermeister oder Goldschmied, der uns ein bisschen was beibringen kann. Vielleicht finden wir ja in einem gefährlichen Verlies auch einen Schatz. Und es wäre uns eine Ehre, wenn du uns begleiten würdest. Dein Schwert, dein Mut 16 und vor allem deine Freundschaft sind uns willkommen. Lass uns zuerst in den Wald gehen, da kannst du dich gut vor diesem Geraldo und seinen Gefolgsleuten verstecken.“ Ich grinste über beide Wangen, so glücklich war ich. Als mir die Zwergenbrüder jeder nach dem anderen ihre Hand hinhielten, nahm ich sie und brüllte fast: „Ich bin dabei, Jungs!“ Am nächsten Morgen waren Heinrich und Thoma schon fast wieder fit. Der Schamane hatte Wunder gewirkt. Die eklige Milch und die Kräutertinktur unter dem Gips von Thoma taten ihr Übriges. Beim Schultern unserer Rucksäcke beklagte sich Heinrich bereits, dass er noch nichts tragen durfte. Und Thoma verkündete mit seinem eingegipsten Arm, dass er für den nächsten Kampf bereit sei. Beide waren schon wieder ganz die Alten. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Der Weg zum Waldrand verlief ohne größere Zwischenfälle. Dann verschwanden wir im grünen Dickicht. Hier würden uns Geraldo und seine Schergen so schnell nicht finden können. Und wenn doch, wusste ich treue Recken an meiner Seite, die noch eine Rechnung mit der Bande offenhatten. Und wer weiß, vielleicht würden wir in den Wäldern ja auch die sagenumwobene Elfenstadt finden. „Sagt mal, sind die Elfen wirklich so schwul, wie ihr sagt?“, fragte ich schließlich die Brüder. „Naja, man erzählt es so“, sagte Golo. „Aber vielleicht sind das auch nur Zwergenmärchen. In jedem Fall können wir dieser Frage bald auf den Grund gehen.“ Der Zwerg schaute mich voller Neugierde und Abenteuerlust an. „Wie geht es euch denn, wenn ihr jetzt an euren Vater denkt“, fragte ich die drei nach einer Weile. Thoma zupfte lange an seinem Bart, ehe er entschlossen sagte: „Blut ist nicht immer dicker als Wasser, Arno. Und vergiss nicht, wir vier haben zusammen schon beides geschwitzt. Und das ist das Wichtigste im Leben. Blut und Wasser.“ „Das stimmt“, gab ich zu, „Blut und Wasser – und Bier.“ Alle drei lachten. Ich stimmte mit ein.+Der nächste Morgen war anders als der letzte. Ziemlich ratlos sammelte ich meine Habseligkeiten zusammen, die mir aus den Taschen gefallen waren, als ich des Nachts torkelnd zum Pinkeln in die nahe gelegenen Büsche gegangen war. Wo sollten wir nun hin. Es sah fast aus, als ob die Zwerge, durch Golos nächtlichen Wutanfall befeuert, den Anweisungen des Vaters nicht mehr Folge leisten wollten. Doch was nun? Und was wurde dann aus meinem Auftrag? Wie konnte ich dann die drei Zwergendiebe überführen? Und wollte ich das überhaupt noch? 
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 +Als wir zum Aufbruch bereit waren, schlugen die Zwerge vor, erst einmal nach Gomoa zu gehen. Das Bier sollte dort stark und die Wirtshausschlägereien rau sein. Ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Sogar die derbe Wesensart der drei Brüder fand ich mehr und mehr sympathisch. Und die Idee, nach Gomoa zu gehen, gefiel auch mir. Dort veranstaltete man regelmäßig Barfußgeländeläufe. Das wäre etwas für mich. Ich blickte auf meine haarigen Füße. Die halten einiges aus. Das wird ein Spaß! 
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 +Scherzend gingen wir also in Richtung der Halborkstadt. Wir sahen schon von weitem das hohe Stadttor, als sich uns plötzlich vier bewaffnete Halblinge in den Weg stellten. Ich traute meinen Augen nicht. Es war Geraldo mit Matti, Bürgi und Steini im Schlepptau. 
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 +„Soso, wen haben wir denn da?“, fragte Geraldo süffisant, „warum haben wir von dir noch keine Meldung erhalten. Ich wusste es, dass du es nicht schaffst die drei Dickwanste hier zu überführen, du Niete! Stattdessen trödelst du mit ihnen hier fröhlich durch die Lande.“ Mein Kollege aus Grent hatte es mir also doch übel genommen, dass ich den Auftrag erhalten hatte, mich bei den Zwergendieben einzuschleusen. Dass er gerne an meiner statt die Zwerge ausliefern und sich dadurch seine Beförderung sichern wollte, wusste ich. Doch dass er mich dafür sogar bis nach Gomoa verfolgt, hätte ich nicht gedacht. Aber was hatte ich anders von Geraldo erwartet. Der lügenhafte Intrigant hatte sich den Auftrag schließlich auch noch selbst versaut, da er dabei erwischt wurde, Bestechungsgelder anzunehmen. Und jetzt steht dieser Abschaum tatsächlich mit seinen Schergen vor mir. Was er vorhatte, konnte ich mir schon denken. 
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 +„Haben wir euch endlich, ihr Diebespack. Wollen wir doch mal sehen, was ihr in den Taschen habt. Das sollte dann ja Beweismittel genug sein.“ Geraldo griff Thoma in die Taschen, der sich nicht schnell genug dagegen wehrte, und brachte einen Smaragdring zum Vorschein. „Aha, Diebesbeute! Und Du Arno, wann gedenkst du endlich die drei dingfest zu machen, wie es deine Aufgabe war?“ Die drei Zwerge schauten mich an. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Alles wäre in dieser Situation falsch gewesen, also schwieg ich und schaute Geraldo nur aus zusammengekniffenen Augen an. 
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 +„Das ist mein Ehering“, rief Thomas aus, „er wurde ehrlich erworben und ist sicherlich nicht gestohlen. Gib ihn mir sofort zurück!“ 
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 +„Halt Dein dummes Maul, du ungewaschener Zwerg!“, herrschte ihn Geraldo an und steckte den Ring in seine Tasche. Ihr seid hiermit verhaftet, wir bringen euch nach Grent, dann geht es hinter schwedische Gardinen. Legt eure Waffen ab.“ 
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 +„Wir denken ja gar nicht dran, du Pfeife!“ Golos gewohnt provokanter Tonfall war in dieser Situation tatsächlich einmal angebracht. „Wenn du unsere Waffen willst, musst du sie dir schon selbst nehmen, du Pflaume.“ 
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 +Alle drei Zwerge zogen ihre Äxte und machten sich kampfbereit, die drei Halblinge stürzten sich auf sie. Ich schaute mir das Geschehen kurz ein wenig irritiert an, dann griff ich nach meiner Schleuder und zielte auf Geraldos Kopf. Sein alberner Helm rutsche ihm über die Augen, als der Stein gegen ihn schlug. 
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 +„Ja, bist du deppert? Was soll das?“ rief Geraldo halb verdutzt, halb wütend.“ Doch ich hatte mich schon zu den Zwergen gestellt und zog mein Schwert. Der Kampf dauerte ungefähr eine halbe Stunde. Als die vier liederlichen Halblinge schließlich blutend und fluchend das Weite gesucht hatten, verband ich Thoma den Arm. Er schien gebrochen zu sein. Auch Heinrich konnte sich kaum auf den Beinen halten. Wir mussten schleunigst nach Gomoa, um die beiden zu versorgen. Was danach geschehen würde, mochte ich mir nicht vorstellen. 
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 +Es herrschte betretenes Schweigen, als die Zwerge und ich uns in die Halborkstadt schleppten. Kurz bevor wir an dem Stadttor ankamen, traf mich plötzlich eine Faust. Als ich die Augen wieder aufmachte, stand über mir Golo und sah mich grimmig an. 
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 +„Steh auf, du Verräter, damit ich dir noch eine verpassen kann“, brüllte er und versuchte, mich am Kragen auf die Beine zu ziehen. Ich ließ es geschehen und stellte mich aufrecht hin, um bereitwillig den nächsten Schlag entgegenzunehmen. Ich hatte das Gefühl, dass ich ihn verdient hatte, also blieb ich nur schlaff stehen. Golo holte ein zweites Mal aus, doch er ließ seinen Arm wieder sinken. Stattdessen warf er sich auf mich und riss mich wieder zu Boden. Lange wälzten wir uns so auf dem schlammigen Untergrund hin und her. Golo rief immer wieder „Verräter! Verräter!“ Dann blieben wir erschöpft liegen. Die anderen beiden Brüder starrten nur ausdruckslos auf uns herunter. Dann merkte ich plötzlich, dass Thoma neben mir weinte. 
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 +„Ich dachte, du meinst es ernst mit uns“, stieß er mit gebrochener Stimme hervor. „Als wir gegen die Harpyien gekämpft und dir danach unser Herz ausgeschüttet hatten, dachte ich, du gehörst zu uns. Aber du bist doch nur ein mieser, kleiner Spitzel, der sich nicht zu schade ist, sein Geld damit zu verdienen, andere hinters Licht zu führen.“ 
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 +„Nun, viel besser seid ihr aber auch nicht“, machte ich einen schwachen Verteidigungsversuch. „Immerhin hattet ihr zu Beginn der Reise vor, eurem Vater nachzueifern. Besonders ehrlich ist sein Beruf auch nicht.“ 
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 +„Aber er hat Ehre!“, rief Thoma. „Ihm ist völlig klar, wer die Seinen sind, und er verhält sich auch entsprechend. Mag er auch noch so ein herrschsüchtiges Ekel sein. Niemals würde er einem Kumpan in den Rücken fallen. Das macht man einfach nicht.“ 
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 +Was sollte ich dazu sagen? Thoma hatte Recht und ich fühlte mich elendig. Das Einzige, was ich jetzt noch tun konnte, war die Verletzten nach Gomoa zu schaffen und mich dann aus dem Staub zu machen. Doch wo sollte ich hin? Während ich zusammen mit Golo den verletzten Heinrich schleppte, der immer wieder ohnmächtig zu werden schien, wurde mir allmählich klar, dass das Leben, so wie ich es kannte, jetzt endgültig vorbei war. Geraldo und seine treudoofen Schergen werden natürlich in Grent sofort von meinem Überlaufen erzählen. Ab dann war ich auf der Flucht. So leicht würden mein Chef und Geraldo es mir nicht machen. Sie werden mich durch ganz Ultimor jagen und wenn sie mich gefunden haben, werden sie mich vor einem Disziplinargericht verurteilen. Ach, was rede ich, sie werden mich an Ort und Stelle abmurksen und meine Leiche verstecken. Ich fing an zu rechnen: Bis die vier in Grent ankommen, würden einige Tage vergehen, immerhin waren sie nicht weniger verletzt als wir. Doch dann würde es für mich haarig werden. Ich weiß nicht, was ich mehr bedauern sollte, den Verlust meines Jobs, meiner Existenz, meines bisherigen Lebens oder die ständige Angst, der ich von nun an ausgesetzt war, bis sie mich finden werden. 
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 +Endlich kamen wir in Gomoa an. Das Geld für den Einlass am Stadttor konnten wir gerade noch so bezahlen. Für ein Zimmer in einem Gasthaus reichte es nicht mehr. Ich gab den Zwergen meinen Knochentalisman, den ich von meinem Vater erhalten hatte, und sagte, sie sollen ihn zu Geld machen für ein Hotelzimmer und einen Orkschamanen, der sich um Thoma und vor allem Heinrich kümmern sollte. Ich würde im billigsten Zimmer des Gasthauses übernachten und morgen fort sein. Mehr könne ich nicht tun. Die Zwerge nahmen den Knochentalisman fast respektvoll. 
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 +„Von deinem Vater ist er, Arno?“, fragte Golo und drehte den hübsch gearbeiteten Talisman, dem man ansah, dass er schon sehr viele Jahrzehnte alt war, zwischen den Fingern. 
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 +„Das ist mein wertvollster Besitz“, sagte ich und blickte auf den Wirtshaustisch. „Das ist alles, was ich noch geben kann. Es tut mir leid. Kümmere dich jetzt bitte um Thoma und Heinrich.“ Thoma stöhnte, er musste dringend seinen Arm fachgerecht schienen lassen. Und wenn Heinrich nicht bald ärztliche Hilfe bekam, würde es schlimm für ihn ausgehen. Golo sah verzweifelt den Wirt an, der bereits herbeigeeilt war und mitteilte, dass sein Gehilfe schon Magnatz, den Orkschamanen, gerufen habe. Er werde bald da sein. 
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 +Tatsächlich trat nach wenigen Minuten ein gewaltiger Halbork durch die Wirthaustür. Er hatte dunkle Haut und ein gewaltiges Gebiss. Doch er sprach zu uns mit einer freundlichen Stimme und bat Golo und mich, die beiden Verletzten in den Nebenraum zu bringen, in dem an jedem Abend Karten gespielt wurde, der aber jetzt noch leer war. Als er wieder herauskam, bestellte er Milch mit Schnaps, nahm einen großen Schluck und sah den sichtlich besorgten Golo und mich an. 
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 +„Der stark verletzte Zwerg wird es schaffen. Er ist wieder bei Bewusstsein, schläft aber jetzt auf einem Heuhaufen in der Ecke des Zimmers. Gebt ihm regelmäßig von diesem Trunk.“ Der Schamane hielt uns ein Fläschchen mit einer milchigen, widerlich riechenden Flüssigkeit entgegen. „Karak-Milch“, sagte er, „sie wird ihm helfen, wieder zu Kräften zu kommen. Der andere hat den Arm gebrochen. Ich habe ihn mit einem Kräutersud eingerieben und geschient. Er wird in wenigen Wochen wieder wie neu sein. Jetzt kommen wir zu meiner Bezahlung.“ 
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 +Golo gab ihm zögernd den Knochentalisman und sah mir vorher noch einmal in die Augen. Ich deutete mit einem Kopfnicken an, dass er es in Ordnung ist. Der Schamane nahm den Talisman und betrachtete ihn. „Er ist viel wert. Mehr wert als meine Heilkunst. Bitte nehmt das hier als Wechselgeld.“ Der Schamana gab Golo eine Handvoll Münzen. Dieser wollte mir das Geld geben, doch ich wehrte ab und sagte, dass damit das Zimmer im Gasthaus und das Essen für ein paar Tage bezahlt werden könnten. Ich selbst würde mich morgen auf den Weg machen. 
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 +„Wir haben nur Mehrbettzimmer“, knurrte der Wirt. „Ihr Winzlinge könnt euch ein Zimmer teilen… und dann wäre immer noch Platz für zwei Mann. Seid froh, dass es keine weiteren Gäste gibt.“ 
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 +Ich schaute Golo zweifelnd an, doch dieser bedeutete mir, wenn auch Augen rollend, dass es in Ordnung sei, wenn ich mit den Zwergen in ihrem Zimmer schliefe. Wirklich recht schien es ihm also doch nicht zu sein. Aber er brachte es wohl auch nicht übers Herz, mich in die nächtliche Kälte hinauszuschicken, nachdem ich den Schamanen entlohnt und das Wirtshauszimmer für die Zwerge bezahlt hatte. 
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 +Wir verfrachteten die beiden Verletzten in ihre Betten. Heinrich schlief bereits so tief, dass wir ihn nicht aufwecken konnten und die Treppen hinaus tragen mussten. Thoma hielt seinen Arm und wollte auch sofort schlafen. „Es tut mehr weh als vorher“, beklagte er sich. Aber der Schamane hatte uns gesagt, dass die Tinktur, mit der er den gebrochenen Arm von Thoma eingerieben habe, seine volle Wirkung entfaltet habe, wenn sie anfinge auf der Haut zu brennen. Dass Thoma zeterte war also ein gutes Zeichen. 
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 +Auch Golo und ich legten uns ins Bett. Als dieser ebenfalls eingeschlafen war, fing ich an, meine Sachen zusammenzusuchen. Auch wenn Golo mich in dem Wirtshauszimmer übernachten ließ, war ich nur geduldet. Und ich wollte so schnell wie möglich aus dieser Schmach, in die ich mich selber gebracht hatte, ausbrechen. Nur noch fort von hier, dachte ich, während ich die wenigen Habseligkeiten, die ich mit mir führte, zu einem Bündel zusammenschnürte und aus dem Zimmer schlich. 
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 +Es war schon dunkel und ich irrte durch die Straßen auf dem Weg Richtung Stadttor. Als ich das Gefühl hatte, die Orientierung nun völlig verloren zu haben, stand ich in einer kleineren Gasse plötzlich mehreren abgerissenen Halborks gegenüber. „Dein Geld, wird’s bald!“, rief der eine. „Hab kein Geld! Lasst mich zufrieden“, entgegnete ich und bereute sofort den Tonfall, den ich angeschlagen hatte. „So bloß nicht so frech, du halbe Portion“, kam es direkt von dem zweiten Halbork zurück, dabei schwang er drohend seine Keule. Ich wich zurück. Plötzlich hörte ich ein dumpfes „Klonk“ und sah wie Blut über das Gesicht des Halborks lief. Er war von etwas getroffen worden. Der dumpfe Laut wiederholte sich und er stürzte zu Boden. Die anderen Halborks zogen sich feige zurück. Da trat Golo aus dem Schatten, eine Schleuder in der Hand. 
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 +„Du musst dich auch immer wieder in neuen Schlamassel begeben“, sagte er tadelnd, grinste aber dabei. „Das soll dir eine Lehre sein, geh niemals ohne einen Freund auf die nächtlichen Straßen einer Stadt, die du nicht kennst.“ 
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 +„Heißt das…?“, fragte ich zögernd? 
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 +„Genau das heißt es“, entgegnete Golo, „egal, was du getan hast. Du hast, als es drauf ankam, zu uns gestanden. Und du warst bereit, uns deinen wertvollsten Besitz zu geben. Du gehörst zu uns, daran besteht nun kein Zweifel mehr. Aber jetzt lass uns schnell zurück ins Gasthaus, ehe diese Made hier wieder aufwacht.“ Als er dies sagte, griff er in die Taschen des bewusstlosen Halborks und holte ein paar Münzen, aber auch einen kleinen Edelstein hervor. „Aha, hast wohl noch mehr Leute ausgeraubt, du Dieb“, sagte Golo grinsend uns fügte hinzu: „Wenn man einen Dieb, der einen bestehlen wollte, ausraubt, ist es eigentlich kein Verbrechen, sondern nur ausgleichende Gerechtigkeit, nicht?“ Ich konnte nicht anders und musste ebenfalls grinsen. Dann gab mir Golo den Edelstein. Er war nur so groß wie ein Fingernagel, aber er schien kunstvoll geschliffen zu sein. „Es ist nicht das Familienerbstück, das du für uns hergegeben hast, aber vielleicht kannst du den Stein als Neuanfang sehen… mit einer neuen Familie.“ Golo schaute mich hoffnungsvoll an und fügte leise hinzu: „Uns?“ Mir traten Tränen der Rührung in die Augen und ich umarmte den Zwerg herzlich. „Du ungehobelter, versoffener Zwerg“, sagte ich lächelnd. „Du Unkraut rauchender, hässlicher Wicht“, entgegnete er ebenfalls mit einem Lächeln im Gesicht. Dann lachten wir richtig und begaben uns zurück zum Gasthaus. Der Halborkdieb regte sich schon langsam wieder. 
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 +Als wir das Gasthauszimmer betraten, waren Heinrich und Thomas wach und schauten ihren Bruder und dann mich an. „Er hat dich gefunden. Gott sei Dank. Wir dachten schon, du seiest über alle Berge“, sagte Thoma. 
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 +„Bin aufgehalten worden“, antwortete ich. Dann schaute ich die beiden ernst an. „Und ihr wollt auch, dass ich bei euch bleibe?“ 
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 +„Auch wenn du uns ganz schön in die Bredouille gebracht hast, so kannten wir noch niemanden, der sich so für uns eingesetzt hat wie du, Arno. Und wo sollst du auch sonst hin? Deine Karriere als Polizist scheint ja zu Ende zu sein. Oder willst du uns immer noch ausliefern? 
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 +„Nein, nein. Auf keinen Fall. Und eine Polizeiwache will ich auch nie wieder von innen sehen. Aber was habt ihr jetzt vor. Wollt ihr eure Diebes-Walz weiterführen? 
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 +Golo schaute mich ernst an. „Wir wollen auf jeden Fall weiterreisen. Aber stehlen, betrügen, rauben? Nein. Aber von der Welt wollen wir schon noch ein bisschen sehen. Und vielleicht findet sich ja auf unserem Weg ein Tischlermeister oder Goldschmied, der uns ein bisschen was beibringen kann. Vielleicht finden wir ja in einem gefährlichen Verlies auch einen Schatz. Und es wäre uns eine Ehre, wenn du uns begleiten würdest. Dein Schwert, dein Mut 16 und vor allem deine Freundschaft sind uns willkommen. Lass uns zuerst in den Wald gehen, da kannst du dich gut vor diesem Geraldo und seinen Gefolgsleuten verstecken.“ 
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 +Ich grinste über beide Wangen, so glücklich war ich. Als mir die Zwergenbrüder jeder nach dem anderen ihre Hand hinhielten, nahm ich sie und brüllte fast: „Ich bin dabei, Jungs!“ 
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 +Am nächsten Morgen waren Heinrich und Thoma schon fast wieder fit. Der Schamane hatte Wunder gewirkt. Die eklige Milch und die Kräutertinktur unter der Armschiene von Thoma taten ihr Übriges. Beim Schultern unserer Rucksäcke beklagte sich Heinrich bereits, dass er noch nichts tragen durfte. Und Thoma verkündete mit seinem geschienten Arm, dass er für den nächsten Kampf bereit sei. Beide waren schon wieder ganz die Alten. Mir fiel ein Stein vom Herzen. 
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 +Der Weg zum Waldrand verlief ohne größere Zwischenfälle. Dann verschwanden wir im grünen Dickicht. Hier würden uns Geraldo und seine Schergen so schnell nicht finden können. Und wenn doch, wusste ich treue Recken an meiner Seite, die noch eine Rechnung mit der Bande offenhatten. Und wer weiß, vielleicht würden wir in den Wäldern ja auch die sagenumwobene Elfenstadt finden. 
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 +„Sagt mal, sind die Elfen wirklich so schwul, wie ihr sagt?“, fragte ich schließlich die Brüder. „Naja, man erzählt es so“, sagte Golo. „Aber vielleicht sind das auch nur Zwergenmärchen. In jedem Fall können wir dieser Frage bald auf den Grund gehen.“ Der Zwerg schaute mich voller Neugierde und Abenteuerlust an. 
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 +„Wie geht es euch denn, wenn ihr jetzt an euren Vater denkt“, fragte ich die drei nach einer Weile. 
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 +Thoma zupfte lange an seinem Bart, ehe er entschlossen sagte: „Blut ist nicht immer dicker als Wasser, Arno. Und vergiss nicht, wir vier haben zusammen schon beides geschwitzt. Und das ist das Wichtigste im Leben. Blut und Wasser.“ 
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 +„Das stimmt“, gab ich zu, „Blut und Wasser – und Bier.“ Alle drei lachten. Ich stimmte mit ein.
  
  
blut_und_wasser.txt · Zuletzt geändert: 2020/08/10 20:15 (Externe Bearbeitung)