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blut_und_wasser

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-Die Zwerge schauten mich mit großen Augen an. Ihre schweren Äxte lehnten neben ihren Stühlen und die halbleeren Bierkrüge auf dem fleckigen Wirtshaustisch warteten auf den bereits herbeigerufenen Wirt, damit er sie zum wiederholten Male nachfüllen konnte. „Noch einmal – du möchtest uns also in den nächsten Wochen begleiten. Habe ich das richtig verstanden? Wie war noch mal Dein Name?“, fragte mich der dickste von den drei Zwergen. Ich hatte Schwierigkeiten, sie auseinanderzuhalten. „Arno. Und ja, ich würde euch gerne auf eurer Reise begleiten. Der Ruf eures Vaters ist weit über die Stadtmauern von Gadûr bekannt. Als ich gehört habe, dass ihr nun in die Welt hinausziehen sollt, um Erfahrungen zu sammeln und zu beweisen, dass ihr würdig seid, in die Fußstapfen eures Vaters zu treten, ist in mir der große Wunsch erwacht, mit euch zu gehen. Ich bewundere eure Familie und das, was sie macht, schon lange. Ihr lasst euch von niemandem etwas sagen, nehmt euch, was ihr wollt, und ihr seid frei. Ich kann die ewigen Vorschriften bei der Stadtwache nicht mehr ertragen. Und ihr seid ja nur zu dritt und könntet vielleicht einen Begleiter gebrauchen, der flink mit dem Schwert ist und auch schon einige Kämpfe ausgefochten hat.“ „So ist das also“, sagte der Zwerg mit dem etwas rötlich schimmernden Bart. Wenn ich mir doch bloß merken könnte, wer von den dreien wer ist. „Du weißt aber schon, dass du als Dieb nicht immer ein leichtes Leben haben wirst, Bodo.“ „Arno…“ „Jaja, wie auch immer. Du wirst nicht viele Freunde auf unserer Reise finden. Und wenn doch, wirst du sie irgendwann, wenn sie damit am wenigsten rechnen, bis auf die Unterhose ausrauben. Andernfalls übernehmen wir das dann gerne für dich.“ „Und vergiss eins nicht“, mischte sich der dritte Zwerg ein, „wir sind hier die Chefs, meine Brüder Golo, Thoma und ich. Wir geben das Kommando, du bist sozusagen nur unser Gehilfe und Handlanger. Ein bisschen was wird für dich dabei schon abfallen, keine Sorge. Du wirst schon nicht leer ausgehen. Aber wir Zwerge sagen hier, wo es langgeht. Hast du das verstanden, Halbling?“ „Ja, sonnenklar.“ Mir fiel ein Stein vom Herzen. Die drei waren ungehobelt und ziemlich von sich selbst eingenommen. Außerdem schienen sie nicht besonders helle zu sein. Es wird wahrscheinlich kein großes Vergnügen werden, mit ihnen durch die Lande zu streifen und dabei auch noch unschuldige Menschen auszurauben. Aber es war nun einmal mein Auftrag. Was sollte ich sonst tun? Es grenzte sowieso an ein Wunder, dass die Zwergenbrüder mich überhaupt mitnahmen. Ich gehörte ja noch nicht einmal ihrer Rasse an, geschweige denn ihrem Clan, dessen Schandtaten in ganz Ultimor bekannt und Teil vieler berüchtigter Geschichten waren, die sich die Reisenden in den Wirtshäusern erzählten. Vermutlich ahnten die Jungspunde, dass die Reise, auf die sie von ihrem Vater geschickt wurden, um sich zu beweisen und ihrer Familie Ruhm! und Ehre! einzubringen, doch recht gefährlich werden könnte. Dass sie mich als bereits recht erfahrenen Schwertkämpfer zur Unterstützung gut gebrauchen konnten, war ihnen wohl bereits klar, als ich ihnen hier im „Anker“ eine Runde vom teuersten Bier spendiert und meinen Wunsch unverhohlen vorgetragen habe. Mein gestriger Erfolg beim großen Ritterturnier, der sich in der ganzen Stadt herumgesprochen hat, wird bei ihnen wohl einen ziemlichen Eindruck hinterlassen haben. Dass ich Angehöriger der Stadtwache hier in Traumburg bin und die Nase voll davon habe, nächtliche Raufereien in Wirtshäusern zu beenden und betrunkene Rüpel zur Ausnüchterung in die Arrestzelle sperren, haben sie mir auch ohne weiteres abgekauft. Hach, ich hätte Schausteller werden sollen, stattdessen begebe ich mir hier in Lebensgefahr. Aber Auftrag ist Auftrag. Wenn ich ihn abgelehnt hätte, hätte mir mein Chef die Ohren so lang gezogen, dass ich glatt als Elf durchgehen könnte. Von der Gehaltskürzung ganz zu schweigen…“ „Also gut Hanno…, ich meine natürlich Arno“, der rotbärtige Zwerg sprach meinen Namen stark akzentuiert aus. Er machte keinen Hehl daraus, dass er nicht vorhatte, mit mir eine enge Freundschaft zu schließen. „Morgen geht es los. Bring hier in Traumburg noch deine Ausrüstung auf Vordermann und schlaf dich noch einmal richtig aus. Ab morgen wirst du nicht mehr in deinem warmen Bettchen liegen, dann wirst du das unbequeme Leben eines fahrenden Diebs führen, der immer auf der Hut sein muss und sich niemals sicher fühlen darf.“ Man erkannte deutlich, dass der rotbärtige Zwerg – ich glaube, er heißt Heinrich – selbst nicht besonders scharf darauf war, ab morgen in provisorischen Nachtlagern in den Wiesen oder den Feldern zu nächtigen. Aber es schien der Plan der Brüder zu sein, dort erst einmal ein paar Erfahrungen zu sammeln und einige leichte Kämpfe auszufechten, um dann im Anschluss durch die Marsch in Richtung Gomoa zu gehen. Ich könnte gut darauf verzichten, in der Halborkstadt auf Diebestour zu gehen. Wenn diese Halbwilden einen dabei erwischen, wie man in ihre dreckigen Taschen greift, kochen sie einen wahrscheinlich zur einer Suppe aus, um diese dann der altersschwachen Großmutter zum Löffeln zu geben, während sie selbst ihre eigenen Kinder verspeisen. Aber ich habe den Zwergen gesagt, dass es auf den Inseln viele Verstecke der Flusspiraten gebe, in denen zahlreiche wertvolle Schätze zu 3 finden seien. Mit ein bisschen Glück könnte man dort vielleicht sogar einen seltenen magischen Schatz finden. Genau einen solchen sollen sie ihrem Vater nämlich präsentieren, haben die drei vollmundig nach dem fünften Bier erzählt. Der alte Herr traut seinen Sprösslingen tatsächlich allerhand zu. Die Inseln wären zumindest ein guter Ort, um sich die Taschen mit Gold vollzuschlagen, wenn man es geschickt anstellt. Aber noch ist dieser Ort zu gefährlich für uns – insbesondere für die drei Brüder. Es wäre sowieso am klügsten, wenn ich sie dazu brächte, sich in Abendheim oder einer anderen kleinen Ansiedlung im Taschendiebstahl zu üben. Dann hätte ich einen ersten Beweis für ihre illegalen Aktivitäten und könnte sie überführen. So lautete mein Auftrag. Wie ich dann Verstärkung anfordern sollte, um sie dingfest zu machen, hatte man mir nicht mitgeteilt. Das war dann meine Sache… Ich verabschiedete mich von den drei mittlerweile ziemlich betrunkenen Gesellen und verließ mit ihnen das Wirtshaus. Als ich ihnen nachsah, wie sie in Richtung Marktplatz torkelten, um wahrscheinlich noch am Schimpfwettstreit teilzunehmen, den die Bettlergilde wöchentlich ausrichtete, wurde mir plötzlich klar, dass sich mein Leben in den nächsten Wochen erheblich ändern würde. Heinrich hatte tatsächlich Recht. Doch ich würde nicht nur auf mein Bett verzichten müssen, sondern auch auf das Gemeckere meines ewig griesgrämigen Chefs. Er hatte sich bis zum Hauptverantwortlichen der Grenter Dorfpolizei hochgearbeitet, war aber mit dieser Stelle hoffnungslos überfordert. Spätestens als einige Mitglieder des Diebes-Zwergenclans, zu dem meine drei neuen „Freunde“ gehören, bei dem wohlhabenden Zauberer Magnus eingebrochen sind und dessen nahezu unbezahlbare Kristallkugel gestohlen haben, stand er unter einem solchen Druck, dass sein tief hängendes Augenlid überhaupt nicht mehr aufhören wollte zu zucken. Doch man konnte dem Clan leider nichts nachweisen. Sie hatten keine Spuren hinterlassen und der Vater, den man in Traumburg aufgriff, lachte bei der versuchten Verhaftung nur hämisch. Magnus beharrte darauf, dass man ihm seine Kristallkugel wiederbeschaffte. „Das wird man doch wohl von der Polizei erwarten dürfen“, polterte er im Büro meines Chefs, der daraufhin kurz davor war, in Tränen auszubrechen. Als er mich, der zum Kaffeeholen abkommandiert war, auf der Türschwelle stehen sah, erklärte er, dass er mich damit beauftragen werde, mich als Maulwurf bei den jungen Söhnen des Vorsitzenden des Zwergenclans einzuschleusen, um sie auf frischer Tat zu ertappen. Es war bekannt, dass die Sprösslinge des Clanvorsitzenden bald sozusagen auf die Walz gehen. Da würde sich dieses Vorgehen anbieten. Dieser spontane Einfall schien den wütenden Zauberer zu beruhigen. Und jetzt hatte ich den Salat. Aber zumindest war ich erst einmal meinen alten Zausel von Chef los. Sollte er doch allein die Wände hochgehen. Ich würde mir in den nächsten Wochen sein Geschrei nicht mehr anhören müssen. Vielleicht wird die nächste Zeit doch gar nicht so übel, dachte ich mir, als ich durch die abendlichen Straßen von Traumburg ging. In ein paar Wochen würde ich genügend Beweise zusammenhaben, um die Brüder für eine längere hinter Gitter zu bringen. Und im Idealfall plaudern sie vielleicht sogar aus, wo sich die Kugel von Magnus befindet. Damit wäre meine Beförderung sicher. Bis dahin hieß es für mich jedenfalls viel frische Luft, das ein oder andere Abenteuer und vielleicht auch hier und da mal ein junges Fräulein. So schlecht waren sie Aussichten also im Grunde genommen gar nicht. Während ich am nächsten Morgen zum vereinbarten Treffpunkt stapfte, wurde mich klar, dass es vielleicht doch sinnvoll sein könnte, noch ein paar Heiltränke zu kaufen. Man hatte mir genügend Geld mitgegeben. Und bevor mich die Zwerge im Schlaf ausraubten – was ich ihnen ohne weiteres zutraute –, sollte ich das Geld wohl besser in etwas investieren, das uns dabei helfen könnte, zumindest die ersten Tage ohne große Verletzungen zu überstehen. Vielleicht fanden wir auch ein gefährliches Verlies, in das man sich ohne Heiltränke sowieso besser nicht hineintrauen sollte. Aber dort gab es oftmals wertvolle Schätze zu holen. Daher würden die völlig selbstüberschätzten Zwerge vermutlich nicht davon abzubringen sein, sich kopflos und ohne weitere Umschweife in solch ein Verlies zu stürzen. Nachdem ich drei Heiltränke und etwas Proviant für die Reise erstanden hatte – Pökelfleisch, Brot, Schinken und Pfeifenkraut –, ging ich schließlich zum „Anker“, wo schon die drei Brüder warteten. Thoma sah so aus, als ob er immer noch das Erbrochene von der gestrigen Nacht in seinem Bart hatte. Ich hatte die drei gestern noch gesehen, wie sie grölend durch die Straßen gezogen und alle naselang in die Gosse gestürzt sind, um sich laut lachend wieder aufzurichten und weiterzuwanken. Es würde sicherlich ein ungeheures Vergnügen sein, mit drei verkaterten, unerfahrenen und überheblichen Zwergen durch die Felder oder Wiesen zu stapfen. Aber vielleicht hatte ich ja Glück und den drei war immer noch so übel, dass sie bei unserer ersten Rast nichts essen wollten. Dann bliebe wenigstens genug für mich, um mir ein gediegenes zweites Frühstück einzuverleiben. „Also Jungs, wohin soll es gehen? Wiesen, Felder oder lieber gleich in die Schlucht?“, fragte ich in die Runde. „Felder!“ – „Nein Wiesen, da können wir die Bauern bei der Heuernte bestehlen.“ – „Aber die haben doch nichts, lass uns in den Feldern Goblins vermöbeln.“ – „Ich will aber in die Wiesen!“ – „Können wir nicht in die Kapelle des Chaos gehen, die auf dem Weg nach Abendheim liegt? Davon habe ich schon so viel gehört? – „Nein, ich will in die Felder!“ So ging das geschlagene 10 Minuten, bis ich beherzt einschritt und sagte, auch ich wolle in die Felder, sodass die anderen überstimmt waren und wir endlich losgehen konnten. Das fing ja gut an, dachte ich entnervt, als sich unser kleiner Trupp von drei hässlichen Zwergendieben und einem schneidigen Halblingkämpfer in Bewegung setzte. Wenigstens war das Wetter sonnig. Die Ähren wiegten sich im Wind und das Ganze hatte etwas von einem spätsommerlichen Ausflug. Immer wieder sahen wir Bauern, die mit der Ernte beschäftigt waren. Irgendwann kamen wir auf einen gut gepflegten Feldweg, der das Gehen noch leichter machte. Wenn ich die nicht enden wollenden Streitereien der Zwergenbrüder gedanklich ausblendete, gestaltete sich der Tag bis jetzt sehr angenehm. Bis jetzt – denn plötzlich stellte sich uns ein gut gekleideter Mann mit drei Gefolgsleuten in den Weg. „Ihr da, stehenbleiben!“, herrschte er uns an. „Ja, guter Mann? Wie können wir Euch helfen?“, fragte ich, wobei ich mich zwang, so freundlich wie eben möglich zu klingen. „Sei nicht so frech, Halbling!“, blaffte der Mann. „Ich bin Baron Ackermann und ihr geht auf meinen Feldwegen. Das macht einen Wegzoll von 3 Gold für jeden von euch. Wird’s bald!“ Bevor ich etwas Weiteres sagen konnte, war es auch schon passiert. Golo zog seine Axt und baute sich drohend vor dem Mann auf. Dies sah übertrieben lächerlich aus, da der Zwerg dem Baron nur etwa bis zur Schulter reichte. Wenn ich nicht gewusst hätte, dass es gleich gewaltigen Ärger geben würde, hätte ich laut lachen müssen. So musste ich mich blitzschnell entscheiden, ob es nun klüger war, diesen Kampf auszufechten oder lieber beschwichtigend einzuschreiten. Ich entschied mich für Letzteres. „Guter Mann, hier habt Ihr 12 Gold. Und entschuldigt unseren Freund, er ist von gestern noch nicht ganz ausgenüchtert.“ Ich gab dem grimmig dreinschauenden Baron mein letztes Geld. „Na denn, aber passt auf den Kleinen auf. Der nächste, dem er in dieser Weise begegnet, ist vielleicht nicht so nachgiebig.“ Baron Ackermann nahm mir das Geld aus der Hand und rümpfte noch einmal die Nase. Dann nickte er seinen Gefolgsleuten zu und verschwand mit ihnen in die entgegengesetzte Richtung. „So geht das nicht, Golo!“ Ich packte den Zwerg an der Schulter. „Das hätte auch schiefgehen können.“ Golo riss sich von mir los. „Ich hätte ihn verdroschen. Was fällt dem ein, uns Geld dafür abzunehmen, dass wir seinen Weg benutzen. Wofür hält sich der Mensch? Dieser verdammte, dreckige, dämliche….“ Der Zwerg krakelte noch eine ganze Weile herum, doch man konnte ihm ansehen, dass er eigentlich erleichtert war, dass es nicht zu einem Kampf gekommen war. Wahrscheinlich hatte er Angst, dass seine Brüder seine Erleichterung bemerkten, und so beschimpfte er mich mit Wörtern, die ich bisher noch nicht gehört hatte. Ich ließ Golo also meckern. Mir war es egal. Langsam dämmerte es. Es wurde Zeit, ein Nachtlager aufzuschlagen. Golo keifte immer noch. Den ganzen Weg ist er nicht von meiner Seite gewichen, um mir immer wieder neue Schimpfsalven entgegenzuschleudern. Ich bekam langsam ein helles Pfeifen auf dem rechten Ohr. „Lasst uns einen geeigneten Platz suchen, um ein Lagerfeuer zu machen“, sagte ich in der Hoffnung, das Geplärre an meiner Seite würde dann endlich Ruhe geben. Tatsächlich wurde Golo plötzlich still, aber nicht, um endlich von mir abzulassen. Denn seine plötzlich hochschnellende Hand deutete an, dass er an wohl etwas entdeckt hatte und uns bedeutete anzuhalten. „Pssst!“, machte er. „Da hinten sehe ich drei Gestalten, die sich gerade hinter einem Busch versteckt haben. Wahrscheinlich wollen sie uns auflauern. Kann sein, dass es Goblins sind. Wenigstens die will ich heute verdreschen.“ „Ich hab sie auch gesehen. Es sind wirklich Goblins, sie scheinen nur leicht bewaffnet zu sein“, zischte schließlich auch Thoma. „Lasst uns einfach weitergehen. Wenn sie aus dem Busch springen sollten, um uns zu überfallen, machen wir sie fertig.“ Alle waren einverstanden, auch ich. Mit drei Goblins sollten wir wohl fertigwerden. Und tatsächlich. Als wir an den Busch kamen, sprangen plötzlich drei abgerissene Goblins hervor. Zwei hatten jeweils einen Dolch, der dritte trat uns mit bloßen Fäusten entgegen. Was dann geschah, kann man sich leicht vorstellen. Ich überließ die Unglücklichen den drei Zwergen, die sie netterweise nach einer Tracht Prügel weglaufen ließen. In den Händen von Golo klimperten ein paar Münzen. „Ha, so haben wir den Wegzoll von Baron Ackergaul wenigstens zum Teil wieder drin“, verkündete er und steckte das Geld in die Taschen. Die Bemerkung, dass ich den Wegzoll mit meinem Geld bezahlt und den Zwerg damit aus der Patsche geholt hatte, schluckte ich herunter. Es hatte ja doch keinen Zweck. Auch im Errichten des Nachtlagers waren die drei Zwerge keine besonders große Hilfe. Ich hatte in der Ebene schon oft mehrtägige Wanderungen gemacht, sodass ich durchaus in der Lage war, Feuer zu machen und notdürftig mit Ästen und Blättern eine Art Zeltdach herzurichten, unter dem wir uns schließlich zusammenkugelten und einschliefen. Ich war der Erste, der erwachte und das Frühstück herrichtete. Wer auch sonst? Als die drei Brüder sich endlich dazu bequemten aufzustehen, beklagten sie sich auch sogleich, dass ich keine Eier gebraten hätte. „Wir haben keine Eier. Wenn ihr welche haben wollt, hättet ihr entsprechend Proviant mitnehmen sollen.“ Die Frage, was denn die Zwerge an Proviant beisteuern könnten, sparte ich mir. Ich wusste die Antwort schon. Wir würden wohl direkt nach dem Frühstück nach Abendheim gehen müssen, um uns ausreichend mit Essen zu versorgen, damit wir dieses Mal ein paar Tage länger in den Feldern bleiben und vielleicht auch noch einen Abstecher in die Wiesen machen könnten. Glücklicherweise konnten wir uns gestern noch an den Goblins bereichern, sodass wir auf dem Markt nicht mit leeren Taschen dastanden. Also gingen wir nach Abendheim. Ich mochte die Ansiedlung. Hier waren die Menschen viel entspannter als in Traumburg. Man konnte ungezwungener mit den Leuten in den Schenken plaudern und die Straßen waren auch viel sicherer. Naja, jetzt wo ich mit den Zwergendieben anrückte, wohl nicht mehr. Aber wir hatten uns vorgenommen, nur schnell Lebensmittel zu kaufen und dann wieder ins Grün zu wandern. Wir hatten Glück, heute war Markttag und die Auswahl war für dieses kleine Dorf recht beachtlich. An einem Stand, der verschiedene Arten von Bögen und Armbrüste feilbot, blieb ich stehen und betrachtete die Kurzbögen. So einen wollte ich immer schon haben. Vielleicht würden wir ja doch zumindest einen normalen Schatz finden. Und wenn die Brüder wenigstens halbwegs gerecht mit mir teilten, würde ich mir vielleicht solch einen Bogen leisten können. Wo waren die Gesellen eigentlich, ich hatte sie beim Betrachten der Auslage des Marktstandes ganz aus den Augen verloren. Hoffentlich machten sie keinen Unsinn, dachte ich noch, als von dem Stand des Hühnerzüchters Roland Geschrei zu mir herüberdrang. „Räuber, Diebe, haltet sie!“ Wie ein geölter Blitz rannten die Zwerge über den Marktplatz. Ich wunderte mich, dass sie mit ihren kurzen Beinen überhaupt so schnell laufen konnten. Zwar war auch ich nicht viel größer, aber dafür umfasste mein Körperumfang nur ungefähr die Hälfte von dem, was die Brüder jeweils mit sich herumzuschleppen hatten. Doch ihre beherzte Rennerei nützte den dreien nicht viel. Mehrere kräftige Bauern stellten sich den Flüchtenden in den Weg und hoben drohend ihre Fäuste. „Habt ihr etwa versucht, unserem Roland ein Hühnchen zu stehlen?“, polterte einer von ihnen. „So etwas dulden wir hier nicht“, brüllte ein anderer. Immer mehr Dorfbewohner kamen herbei, sodass die Zwerge regelrecht eingekesselt wurden. Gackernd hüpfte tatsächlich ein Huhn aus Heinrichs Wams. „Macht, dass ihr fortkommt, ihr Halunken, sonst gibt es was auf eure diebischen Griffel, dass euch Sehen und Hören vergeht“, brüllte der Schmied und hob drohend seine mächtigen Fäuste. Es half nichts, ich musste mit den Zwergen auf dem schnellsten Wege das Dorf verlassen. Als der Schmied auch noch mit erhobenem Hammer hinter uns herrannte, erfasste auch mich die Panik. Wir flüchteten, so schnell wir konnten, über die steinerne Brücke – und fanden uns schließlich völlig außer Atem in der Marsch wieder. Das war nicht gut, diese Gegend war viel zu gefährlich für uns. Wir waren nicht gut genug gerüstet, um es mit den Bedrohungen in diesem Landstrich aufzunehmen. Ganz zu schweigen von der fehlenden Kampferfahrung der Zwerge… Noch ehe ich diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, stieß ein vogelähnliches Wesen auf uns hernieder. Ihm folgte noch eines, dann noch eines und schließlich waren wir eingekreist von wütenden Harpyien, die uns in Stücke reißen wollten. Nur mit Mühe konnten wir unsere Waffen unter den wütenden Angriffen hervorholen und uns verteidigen. Plötzlich sah ich, wie Golo von zwei der kreischenden Wesen zugleich attackiert wurde. Er stürzte blutend zu Boden und verlor seine Axt. Instinktiv hechtete ich in seine Richtung und versuchte, ihn vor den Krallen der Angreifer zu schützen. Eine Harpyie konnte ich dabei mit dem Schwert erschlagen, der anderen stutzte ich einen Teil ihres linken Flügels und sie ließ von uns ab. Heinrich und Thoma schafften es, auch die anderen Harpyien in die Flucht zu schlagen. Zwei von ihnen hatten sie immerhin enthauptet. Ich wusste nicht, welchem Gefühl ich in diesem Augenblick den Vorrang geben sollte: der Erschöpfung nach diesem Kampf, der uns leicht hätte das Leben kosten können, oder der Anerkennung für die Zwerge, weil sie sich so tapfer geschlagen hatten. Als wir schließlich unser Nachtlager aufgeschlagen hatten, herrschte plötzlich eine gänzlich andere Stimmung. Heinrich war aus Gründen, die er weder mir noch seinen Brüdern näher erklären wollte, in der Marsch heimisch und so konnten Golo und ich unsere Verletzungen versorgen und uns erholen. Doch das war nicht alles, ich hatte das Gefühl, dass sich durch den unerwarteten und lebensgefährlichen Kampf eine Art Zusammenhalt zwischen uns vieren zu entwickeln begann. Das merkte ich vor allem daran, dass mir Golo, als Heinrich und Thoma etwas abseits Zweige für ein Feuer zusammenklaubten, die Hand auf die Schulter legte und ein heiseres „Danke“ hauchte. Mehr brachte er nicht heraus, doch ich wusste, dass sein Dank aufrichtig war. „Hey, keine Ursache!“, sagte ich freundschaftlich, „nächstes Mal rettest Du mir den Arsch. Alles klar?“ An Golos aufgehellter Miene sah ich, dass er dazu gerne bereit war. Am Feuer aßen wir das letzte bisschen Pökelfleisch und die wenigen Scheiben Brot, die ich noch bei mir hatte. Es war eine karge Mahlzeit, doch Thoma holte plötzlich einen ledernen Trinkschlauch hervor und gab ihn an seine Brüder weiter. „Du darfst auch, Arno“, sagte er grinsend, „aber Vorsicht, das Zeug hat mein Großvater gebraut. Ist nicht von schlechten Eltern!“ Ich setzte den Trinkschlauch an und nippte kurz. Eine brennende, nach Schwarzwurz schmeckende Flüssigkeit rann mir die Kehle herunter. Sofort umfing mich eine angenehme Schwere. Nach einem weiteren kleinen Schluck gab ich den Schlauch an Golo weiter, der beim Trinken den Kopf weit in den Nacken legte. Der Abend verlief entspannt, fast behaglich. Wir vier waren alle von dem guten Tropfen angesäuselt und lagen um das Feuer herum. Ein bisschen, ein ganz kleines bisschen fing ich an, die drei Zwerge zu mögen. Heinrich erzählte großartige Witze, über die wir uns minutenlang den Bauch haltend amüsierten. Thoma kannte einige spannende Gruselgeschichten und verstand es, sie ausgeschmückt und anschaulich darzubieten. Als schließlich Golo, der von dem starken Schnaps in nicht geringem Maße rührselig geworden war, erzählte, dass er viel lieber Goldschmied geworden wäre, anstatt ebendieses anderen Menschen zu stehlen, sah ich die drei plötzlich aus anderen Augen. Sie standen wohl unter einem erheblichen Druck, den ihr Vater auf sie ausübte. Fast schon unter Tränen gestand Heinrich, dass jener gesagt hätte, dass sie gar nicht mehr nach Hause zurückkommen bräuchten, wenn sie nicht beweisen könnten, dass sie als Diebe etwas taugten. Dabei würde er, Heinrich, von Herzen gerne Tischler werden. Doch seine selbstgebauten Stühle und sogar die Holzeisenbahn, die er für seinen kleinen Cousin gebastelt hatte, habe sein Vater wütend zerschlagen mit der Aussage, dass richtige Diebe ihre Hände für lukrativere „Geschäfte“ gebrauchen würden als nur für ein paar lumpige Sitzgelegenheiten. Ich erkannte nun, dass die drei nicht ganz freiwillig auf diese Reise gegangen waren. Am verzweifeltesten war Thoma, der erst kürzlich Vater geworden war. Zwar konnte er noch bei der Geburt seines Sohnes – „ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was für ein Prachtkerl er ist“, schwärmte Thoma mit leuchtenden Augen – dabei sein, doch nur wenige Tage später musste er mit seinen Brüdern 10 diese „vermaledeite Reise“ antreten, klagte er. Wenn er Pech habe, verpasse er die ersten Schritte seines Sprösslings, vielleicht sogar seine ersten Worte. Ich verstand, in was für einer miserablen Lage die drei Zwerge sich befanden und sie taten mir tatsächlich leid. Nachdem ich schließlich Golo beruhigt hatte, der sturzbetrunken angefangen hatte, laut zu schreien, er würde sich diese Schikane von seinem Vater, dem „großen Räuberhauptmann“, wie er spöttisch ausrief, nicht länger gefallen lassen, legten wir uns schlafen. Der nächste Morgen war anders als der letzte. Ziemlich ratlos sammelte ich meine Habseligkeiten zusammen, die mir aus den Taschen gefallen waren, als ich des Nachts torkelnd zum Pinkeln in die nahe gelegenen Büsche gegangen war. Wo sollten wir nun hin. Es sah fast aus, als ob die Zwerge, durch Golos nächtlichen Wutanfall befeuert, den Anweisungen des Vaters nicht mehr Folge leisten wollten. Doch was nun? Und was wurde dann aus meinem Auftrag? Wie konnte ich dann die drei Zwergendiebe überführen? Und wollte ich das überhaupt noch? Als wir zum Aufbruch bereit waren, schlugen die Zwerge vor, erst einmal nach Gomoa zu gehen. Das Bier sollte dort stark und die Wirtshausschlägereien rau sein. Ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Sogar die derbe Wesensart der drei Brüder fand ich mehr und mehr sympathisch. Und die Idee, nach Gomoa zu gehen, gefiel auch mir. Dort veranstaltete man regelmäßig Barfußcrossläufe. Das wäre etwas für mich. Ich blickte auf meine haarigen Füße. Die halten einiges aus. Das wird ein Spaß! Scherzend gingen wir also in Richtung der Halborkstadt. Wir sahen schon von weitem das hohe Stadttor, als sich uns plötzlich vier bewaffnete Halblinge in den Weg stellten. Ich traute meinen Augen nicht. Es war Geraldo mit Matti, Bürgi und Steini im Schlepptau. „Soso, wen haben wir denn da?“, fragte Geraldo süffisant, „warum haben wir von dir noch keine Meldung erhalten. Ich wusste es, dass du es nicht schaffst die drei Dickwanste hier zu überführen, du Niete! Stattdessen trödelst du mit ihnen hier fröhlich durch die Lande.“ Mein Kollege aus Grent hatte es mir also doch übel genommen, dass ich den Auftrag erhalten hatte, mich bei den Zwergendieben einzuschleusen. Dass er gerne an meiner statt die Zwerge ausliefern und sich dadurch seine Beförderung sichern wollte, wusste ich. Doch dass er mich dafür sogar bis nach Gomoa verfolgt, hätte ich nicht gedacht. Aber was hatte ich anders von Geraldo erwartet. Der lügenhafte Intrigant hatte sich den Auftrag schließlich auch noch selbst versaut, da er dabei erwischt wurde, Bestechungsgelder anzunehmen. Und jetzt steht dieser 11 Abschaum tatsächlich mit seinen Schergen vor mir. Was er vorhatte, konnte ich mir schon denken. „Haben wir euch endlich, ihr Diebespack. Wollen wir doch mal sehen, was ihr in den Taschen habt. Das sollte dann ja Beweismittel genug sein.“ Geraldo griff Thoma in die Taschen, der sich nicht schnell genug dagegen wehrte, und brachte einen Smaragdring zum Vorschein. „Aha, Diebesbeute! Und Du Arno, wann gedenkst du endlich die drei dingfest zu machen, wie es deine Aufgabe war?“ Die drei Zwerge schauten mich an. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Alles wäre in dieser Situation falsch gewesen, also schwieg ich und schaute Geraldo nur aus zusammengekniffenen Augen an. „Das ist mein Ehering“, rief Thomas aus, „er wurde ehrlich erworben und ist sicherlich nicht gestohlen. Gib ihn mir sofort zurück!“ „Halt Dein dummes Maul, du ungewaschener Zwerg!“, herrschte ihn Geraldo an und steckte den Ring in seine Tasche. Ihr seid hiermit verhaftet, wir bringen euch nach Grent, dann geht es hinter schwedische Gardinen. Legt eure Waffen ab.“ „Wir denken ja gar nicht dran, du Pfeife!“ Golos gewohnt provokanter Tonfall war in dieser Situation tatsächlich einmal angebracht. „Wenn du unsere Waffen willst, musst du sie dir schon selbst nehmen, du Pflaume.“ Alle drei Zwerge zogen ihre Äxte und machten sich kampfbereit, die drei Halblinge stürzten sich auf sie. Ich schaute mir das Geschehen kurz ein wenig irritiert an, dann griff ich nach meiner Schleuder und zielte auf Geraldos Kopf. Sein alberner Helm rutsche ihm über die Augen, als der Stein gegen ihn schlug. „Ja, bist du deppert? Was soll das?“ rief Geraldo halb verdutzt, halb wütend.“ Doch ich hatte mich schon zu den Zwergen gestellt und zog mein Schwert. Der Kampf dauerte ungefähr eine halbe Stunde. Als die vier liederlichen Halblinge schließlich blutend und fluchend das Weite gesucht hatten, verband ich Thoma den Arm. Er schien gebrochen zu sein. Auch Heinrich konnte sich kaum auf den Beinen halten. Wir mussten schleunigst nach Gomoa, um die beiden zu versorgen. Was danach geschehen würde, mochte ich mir nicht vorstellen. Es herrschte betretenes Schweigen, als die Zwerge und ich uns in die Halborkstadt schleppten. Kurz bevor wir an dem Stadttor ankamen, traf mich plötzlich eine Faust. Als ich die Augen wieder aufmachte, stand über mir Golo und sah mich grimmig an. „Steh auf, du Verräter, damit ich dir noch eine verpassen kann“, brüllte er und versuchte, mich am Kragen auf die Beine zu ziehen. Ich ließ es geschehen und stellte mich aufrecht hin, 12 um bereitwillig den nächsten Schlag entgegenzunehmen. Ich hatte das Gefühl, dass ich ihn verdient hatte, also blieb ich nur schlaff stehen. Golo holte ein zweites Mal aus, doch er ließ seinen Arm wieder sinken. Stattdessen warf er sich auf mich und riss mich wieder zu Boden. Lange wälzten wir uns so auf dem schlammigen Untergrund hin und her. Golo rief immer wieder „Verräter! Verräter!“ Dann blieben wir erschöpft liegen. Die anderen beiden Brüder starrten nur ausdruckslos auf uns herunter. Dann merkte ich plötzlich, dass Thoma neben mir weinte. „Ich dachte, du meinst es ernst mit uns“, stieß er mit gebrochener Stimme hervor. „Als wir gegen die Harpyien gekämpft und dir danach unser Herz ausgeschüttet hatten, dachte ich, du gehörst zu uns. Aber du bist doch nur ein mieser, kleiner Spitzel, der sich nicht zu schade ist, sein Geld damit zu verdienen, andere hinters Licht zu führen.“ „Nun, viel besser seid ihr aber auch nicht“, machte ich einen schwachen Verteidigungsversuch. „Immerhin hattet ihr zu Beginn der Reise vor, eurem Vater nachzueifern. Besonders ehrlich ist sein Beruf auch nicht.“ „Aber er hat Ehre!“, rief Thoma. „Ihm ist völlig klar, wer die Seinen sind, und er verhält sich auch entsprechend. Mag er auch noch so ein herrschsüchtiges Ekel sein. Niemals würde er einem Kumpan in den Rücken fallen. Das macht man einfach nicht.“ Was sollte ich dazu sagen? Thoma hatte Recht und ich fühlte mich elendig. Das Einzige, was ich jetzt noch tun konnte, war die Verletzten nach Gomoa zu schaffen und mich dann aus dem Staub zu machen. Doch wo sollte ich hin? Während ich zusammen mit Golo den verletzten Heinrich schleppte, der immer wieder ohnmächtig zu werden schien, wurde mir allmählich klar, dass das Leben, so wie ich es kannte, jetzt endgültig vorbei war. Geraldo und seine treudoofen Schergen werden natürlich in Grent sofort von meinem Überlaufen erzählen. Ab dann war ich auf der Flucht. So leicht würden mein Chef und Geraldo es mir nicht machen. Sie werden mich durch ganz Ultimor jagen und wenn sie mich gefunden haben, werden sie mich vor einem Disziplinargericht verurteilen. Ach, was rede ich, sie werden mich an Ort und Stelle abmurksen und meine Leiche verstecken. Ich fing an zu rechnen: Bis die vier in Grent ankommen, würden einige Tage vergehen, immerhin waren sie nicht weniger verletzt als wir. Doch dann würde es für mich haarig werden. Ich weiß nicht, was ich mehr bedauern sollte, den Verlust meines Jobs, meiner Existenz, meines bisherigen Lebens oder die ständige Angst, der ich von nun an ausgesetzt war, bis sie mich finden werden. Endlich kamen wir in Gomoa an. Das Geld für den Einlass am Stadttor konnten wir gerade noch so bezahlen. Für ein Zimmer in einem Gasthaus reichte es nicht mehr. Ich gab den 13 Zwergen meinen Knochentalisman, den ich von meinem Vater erhalten hatte, und sagte, sie sollen ihn zu Geld machen für ein Hotelzimmer und einen Orkschamanen, der sich um Thoma und vor allem Heinrich kümmern sollte. Ich würde im billigsten Zimmer des Gasthauses übernachten und morgen fort sein. Mehr könne ich nicht tun. Die Zwerge nahmen den Knochentalisman fast respektvoll. „Von deinem Vater ist er, Arno?“, fragte Golo und drehte den hübsch gearbeiteten Talisman, dem man ansah, dass er schon sehr viele Jahrzehnte alt war, zwischen den Fingern. „Das ist mein wertvollster Besitz“, sagte ich und blickte auf den Wirtshaustisch. „Das ist alles, was ich noch geben kann. Es tut mir leid. Kümmere dich jetzt bitte um Thoma und Heinrich.“ Thoma stöhnte, er musste dringend seinen Arm fachgerecht schienen lassen. Und wenn Heinrich nicht bald ärztliche Hilfe bekam, würde es schlimm für ihn ausgehen. Golo sah verzweifelt den Wirt an, der bereits herbeigeeilt war und mitteilte, dass sein Gehilfe schon Magnatz, den Orkschamanen, gerufen habe. Er werde bald da sein. Tatsächlich trat nach wenigen Minuten ein gewaltiger Halbork durch die Wirthaustür. Er hatte grüne Haut und gewaltige Hauer im Gesicht. Doch er sprach zu uns mit einer freundlichen Stimme und bat Golo und mich, die beiden Verletzten in den Nebenraum zu bringen, in dem an jedem Abend Karten gespielt wurde, der aber jetzt noch leer war. Als er wieder herauskam, bestellte er Milch mit Schnaps, nahm einen großen Schluck und sah den sichtlich besorgten Golo und mich an. „Der stark verletzte Zwerg wird es schaffen. Er ist wieder bei Bewusstsein, schläft aber jetzt auf einem Heuhaufen in der Ecke des Zimmers. Gebt ihm regelmäßig von diesem Trunk.“ Der Schamane hielt uns ein Fläschchen mit einer milchigen, widerlich riechenden Flüssigkeit entgegen. „Karak-Milch“, sagte er, „sie wird ihm helfen, wieder zu Kräften zu kommen. Der andere hat den Arm gebrochen. Ich habe ihn mit einem Kräutersud eingerieben und geschient. Er wird in wenigen Wochen wieder wie neu sein. Jetzt kommen wir zu meiner Bezahlung.“ Golo gab ihm zögernd den Knochentalisman und sah mir vorher noch einmal in die Augen. Ich deutete mit einem Kopfnicken an, dass er es in Ordnung ist. Der Schamane nahm den Talisman und betrachtete ihn. „Er ist viel wert. Mehr wert als meine Heilkunst. Bitte nehmt das hier als Wechselgeld.“ Der Schamana gab Golo eine Handvoll Münzen. Dieser wollte mir das Geld geben, doch ich wehrte ab und sagte, dass damit das Zimmer im Gasthaus und das Essen für ein paar Tage bezahlt werden könnten. Ich selbst würde mich morgen auf den Weg machen. 14 „Wir haben nur Mehrbettzimmer“, knurrte der Wirt. „Ihr Winzlinge könnt euch ein Zimmer teilen… und dann wäre immer noch Platz für zwei Mann. Seid froh, dass es keine weiteren Gäste gibt.“ Ich schaute Golo zweifelnd an, doch dieser bedeutete mir, wenn auch Augen rollend, dass es in Ordnung sei, wenn ich mit den Zwergen in ihrem Zimmer schliefe. Wirklich recht schien es ihm also doch nicht zu sein. Aber er brachte es wohl auch nicht übers Herz, mich in die nächtliche Kälte hinauszuschicken, nachdem ich den Schamanen entlohnt und das Wirtshauszimmer für die Zwerge bezahlt hatte. Wir verfrachteten die beiden Verletzten in ihre Betten. Heinrich schlief bereits so tief, dass wir ihn nicht aufwecken konnten und die Treppen hinaus tragen mussten. Thoma hielt seinen Arm und wollte auch sofort schlafen. „Es tut mehr weh als vorher“, beklagte er sich. Aber der Schamane hatte uns gesagt, dass die Tinktur, mit der er den gebrochenen Arm von Thoma eingerieben habe, seine volle Wirkung entfaltet habe, wenn sie anfinge auf der Haut zu brennen. Dass Thoma zeterte war also ein gutes Zeichen. Auch Golo und ich legten uns ins Bett. Als dieser ebenfalls eingeschlafen war, fing ich an, meine Sachen zusammenzusuchen. Auch wenn Golo mich in dem Wirtshauszimmer übernachten ließ, war ich nur geduldet. Und ich wollte so schnell wie möglich aus dieser Schmach, in die ich mich selber gebracht hatte, ausbrechen. Nur noch fort von hier, dachte ich, während ich die wenigen Habseligkeiten, die ich mit mir führte, zu einem Bündel zusammenschnürte und aus dem Zimmer schlich. Es war schon dunkel und ich irrte durch die Straßen auf dem Weg Richtung Stadttor. Als ich das Gefühl hatte, die Orientierung nun völlig verloren zu haben, stand ich in einer kleineren Gasse plötzlich mehreren abgerissenen Halborks gegenüber. „Dein Geld, wird’s bald!“, rief der eine. „Hab kein Geld! Lasst mich zufrieden“, entgegnete ich und bereute sofort den Tonfall, den ich angeschlagen hatte. „So bloß nicht so frech, du halbe Portion“, kam es direkt von dem zweiten Halbork zurück, dabei schwang er drohend seine Keule. Ich wich zurück. Plötzlich hörte ich ein dumpfes „Klonk“ und sah wie Blut über das Gesicht des Halborks lief. Er war von etwas getroffen worden. Der dumpfe Laut wiederholte sich und er stürzte zu Boden. Die anderen Halborks zogen sich feige zurück. Da trat Golo aus dem Schatten, eine Schleuder in der Hand. „Du musst dich auch immer wieder in neuen Schlamassel begeben“, sagte er tadelnd, grinste aber dabei. „Das soll dir eine Lehre sein, geh niemals ohne einen Freund auf die nächtlichen Straßen einer Stadt, die du nicht kennst.“ 15 „Heißt das…?“, fragte ich zögernd? „Genau das heißt es“, entgegnete Golo, „egal, was du getan hast. Du hast, als es drauf ankam, zu uns gestanden. Und du warst bereit, uns deinen wertvollsten Besitz zu geben. Du gehörst zu uns, daran besteht nun kein Zweifel mehr. Aber jetzt lass uns schnell zurück ins Gasthaus, ehe diese Made hier wieder aufwacht.“ Als er dies sagte, griff er in die Taschen des bewusstlosen Halborks und holte ein paar Münzen, aber auch einen kleinen Edelstein hervor. „Aha, hast wohl noch mehr Leute ausgeraubt, du Dieb“, sagte Golo grinsend uns fügte hinzu: „Wenn man einen Dieb, der einen bestehlen wollte, ausraubt, ist es eigentlich kein Verbrechen, sondern nur ausgleichende Gerechtigkeit, nicht?“ Ich konnte nicht anders und musste ebenfalls grinsen. Dann gab mir Golo den Edelstein. Er war nur so groß wie ein Fingernagel, aber er schien kunstvoll geschliffen zu sein. „Es ist nicht das Familienerbstück, das du für uns hergegeben hast, aber vielleicht kannst du den Stein als Neuanfang sehen… mit einer neuen Familie.“ Golo schaute mich hoffnungsvoll an und fügte leise hinzu: „Uns?“ Mir traten Tränen der Rührung in die Augen und ich umarmte den Zwerg herzlich. „Du ungehobelter, versoffener Zwerg“, sagte ich lächelnd. „Du Unkraut rauchender, hässlicher Wicht“, entgegnete er ebenfalls mit einem Lächeln im Gesicht. Dann lachten wir richtig und begaben uns zurück zum Gasthaus. Der Halborkdieb regte sich schon langsam wieder. Als wir das Gasthauszimmer betraten, waren Heinrich und Thomas wach und schauten ihren Bruder und dann mich an. „Er hat dich gefunden. Gott sei Dank. Wir dachten schon, du seiest über alle Berge“, sagte Thoma. „Bin aufgehalten worden“, antwortete ich. Dann schaute ich die beiden ernst an. „Und ihr wollt auch, dass ich bei euch bleibe?“ „Auch wenn du uns ganz schön in die Bredouille gebracht hast, so kannten wir noch niemanden, der sich so für uns eingesetzt hat wie du, Arno. Und wo sollst du auch sonst hin? Deine Karriere als Polizist scheint ja zu Ende zu sein. Oder willst du uns immer noch ausliefern?“ „Nein, nein. Auf keinen Fall. Und eine Polizeiwache will ich auch nie wieder von innen sehen. Aber was habt ihr jetzt vor. Wollt ihr eure Diebes-Walz weiterführen?“ Golo schaute mich ernst an. „Wir wollen auf jeden Fall weiterreisen. Aber stehlen, betrügen, rauben? Nein. Aber von der Welt wollen wir schon noch ein bisschen sehen. Und vielleicht findet sich ja auf unserem Weg ein Tischlermeister oder Goldschmied, der uns ein bisschen was beibringen kann. Vielleicht finden wir ja in einem gefährlichen Verlies auch einen Schatz. Und es wäre uns eine Ehre, wenn du uns begleiten würdest. Dein Schwert, dein Mut 16 und vor allem deine Freundschaft sind uns willkommen. Lass uns zuerst in den Wald gehen, da kannst du dich gut vor diesem Geraldo und seinen Gefolgsleuten verstecken.“ Ich grinste über beide Wangen, so glücklich war ich. Als mir die Zwergenbrüder jeder nach dem anderen ihre Hand hinhielten, nahm ich sie und brüllte fast: „Ich bin dabei, Jungs!“ Am nächsten Morgen waren Heinrich und Thoma schon fast wieder fit. Der Schamane hatte Wunder gewirkt. Die eklige Milch und die Kräutertinktur unter dem Gips von Thoma taten ihr Übriges. Beim Schultern unserer Rucksäcke beklagte sich Heinrich bereits, dass er noch nichts tragen durfte. Und Thoma verkündete mit seinem eingegipsten Arm, dass er für den nächsten Kampf bereit sei. Beide waren schon wieder ganz die Alten. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Der Weg zum Waldrand verlief ohne größere Zwischenfälle. Dann verschwanden wir im grünen Dickicht. Hier würden uns Geraldo und seine Schergen so schnell nicht finden können. Und wenn doch, wusste ich treue Recken an meiner Seite, die noch eine Rechnung mit der Bande offenhatten. Und wer weiß, vielleicht würden wir in den Wäldern ja auch die sagenumwobene Elfenstadt finden. „Sagt mal, sind die Elfen wirklich so schwul, wie ihr sagt?“, fragte ich schließlich die Brüder. „Naja, man erzählt es so“, sagte Golo. „Aber vielleicht sind das auch nur Zwergenmärchen. In jedem Fall können wir dieser Frage bald auf den Grund gehen.“ Der Zwerg schaute mich voller Neugierde und Abenteuerlust an. „Wie geht es euch denn, wenn ihr jetzt an euren Vater denkt“, fragte ich die drei nach einer Weile. Thoma zupfte lange an seinem Bart, ehe er entschlossen sagte: „Blut ist nicht immer dicker als Wasser, Arno. Und vergiss nicht, wir vier haben zusammen schon beides geschwitzt. Und das ist das Wichtigste im Leben. Blut und Wasser.“ „Das stimmt“, gab ich zu, „Blut und Wasser – und Bier.“ Alle drei lachten. Ich stimmte mit ein.+Die Zwerge schauten mich mit großen Augen an. Ihre schweren Äxte lehnten neben ihren Stühlen und die halbleeren Bierkrüge auf dem fleckigen Wirtshaustisch warteten auf den bereits herbeigerufenen Wirt, damit er sie zum wiederholten Male nachfüllen konnte. 
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 +„Noch einmal – du möchtest uns also in den nächsten Wochen begleiten. Habe ich das richtig verstanden? Wie war noch mal Dein Name?“, fragte mich der dickste von den drei Zwergen. Ich hatte Schwierigkeiten, sie auseinanderzuhalten. 
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 +„Arno. Und ja, ich würde euch gerne auf eurer Reise begleiten. Der Ruf eures Vaters ist weit über die Stadtmauern von Gadûr bekannt. Als ich gehört habe, dass ihr nun in die Welt hinausziehen sollt, um Erfahrungen zu sammeln und zu beweisen, dass ihr würdig seid, in die Fußstapfen eures Vaters zu treten, ist in mir der große Wunsch erwacht, mit euch zu gehen. Ich bewundere eure Familie und das, was sie macht, schon lange. Ihr lasst euch von niemandem etwas sagen, nehmt euch, was ihr wollt, und ihr seid frei. Ich kann die ewigen Vorschriften bei der Stadtwache nicht mehr ertragen. Und ihr seid ja nur zu dritt und könntet vielleicht einen Begleiter gebrauchen, der flink mit dem Schwert ist und auch schon einige Kämpfe ausgefochten hat.“ 
 + 
 +„So ist das also“, sagte der Zwerg mit dem etwas rötlich schimmernden Bart. Wenn ich mir doch bloß merken könnte, wer von den dreien wer ist. „Du weißt aber schon, dass du als Dieb nicht immer ein leichtes Leben haben wirst, Bodo.“ 
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 +„Arno…“ 
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 +„Jaja, wie auch immer. Du wirst nicht viele Freunde auf unserer Reise finden. Und wenn doch, wirst du sie irgendwann, wenn sie damit am wenigsten rechnen, bis auf die Unterhose ausrauben. Andernfalls übernehmen wir das dann gerne für dich.“ 
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 +„Und vergiss eins nicht“, mischte sich der dritte Zwerg ein, „wir sind hier die Chefs, meine Brüder Golo, Thoma und ich. Wir geben das Kommando, du bist sozusagen nur unser Gehilfe und Handlanger. Ein bisschen was wird für dich dabei schon abfallen, keine Sorge. Du wirst schon nicht leer ausgehen. Aber wir Zwerge sagen hier, wo es langgeht. Hast du das verstanden, Halbling? 
 + 
 +„Ja, sonnenklar.“ Mir fiel ein Stein vom Herzen. Die drei waren ungehobelt und ziemlich von sich selbst eingenommen. Außerdem schienen sie nicht besonders helle zu sein. Es wird wahrscheinlich kein großes Vergnügen werden, mit ihnen durch die Lande zu streifen und dabei auch noch unschuldige Menschen auszurauben. Aber es war nun einmal mein Auftrag. 
 + 
 +Was sollte ich sonst tun? Es grenzte sowieso an ein Wunder, dass die Zwergenbrüder mich überhaupt mitnahmen. Ich gehörte ja noch nicht einmal ihrer Rasse an, geschweige denn ihrem Clan, dessen Schandtaten in ganz Ultimor bekannt und Teil vieler berüchtigter Geschichten waren, die sich die Reisenden in den Wirtshäusern erzählten. Vermutlich ahnten die Jungspunde, dass die Reise, auf die sie von ihrem Vater geschickt wurden, um sich zu beweisen und ihrer Familie Ruhm! und Ehre! einzubringen, doch recht gefährlich werden könnte. Dass sie mich als bereits recht erfahrenen Schwertkämpfer zur Unterstützung gut gebrauchen konnten, war ihnen wohl bereits klar, als ich ihnen hier im „Anker“ eine Runde vom teuersten Bier spendiert und meinen Wunsch unverhohlen vorgetragen habe. Mein gestriger Erfolg beim großen Ritterturnier, der sich in der ganzen Stadt herumgesprochen hat, wird bei ihnen wohl einen ziemlichen Eindruck hinterlassen haben. Dass ich Angehöriger der Stadtwache hier in Traumburg bin und die Nase voll davon habe, nächtliche Raufereien in Wirtshäusern zu beenden und betrunkene Rüpel zur Ausnüchterung in die Arrestzelle sperren, haben sie mir auch ohne weiteres abgekauft. Hach, ich hätte Schausteller werden sollen, stattdessen begebe ich mir hier in Lebensgefahr. Aber Auftrag ist Auftrag. Wenn ich ihn abgelehnt hätte, hätte mir mein Chef die Ohren so lang gezogen, dass ich glatt als Elf durchgehen könnte. Von der Gehaltskürzung ganz zu schweigen…“ 
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 +„Also gut Hanno…, ich meine natürlich Arno“, der rotbärtige Zwerg sprach meinen Namen stark akzentuiert aus. Er machte keinen Hehl daraus, dass er nicht vorhatte, mit mir eine enge Freundschaft zu schließen. „Morgen geht es los. Bring hier in Traumburg noch deine Ausrüstung auf Vordermann und schlaf dich noch einmal richtig aus. Ab morgen wirst du nicht mehr in deinem warmen Bettchen liegen, dann wirst du das unbequeme Leben eines fahrenden Diebs führen, der immer auf der Hut sein muss und sich niemals sicher fühlen darf.“ Man erkannte deutlich, dass der rotbärtige Zwerg – ich glaube, er heißt Heinrich – selbst nicht besonders scharf darauf war, ab morgen in provisorischen Nachtlagern in den Wiesen oder den Feldern zu nächtigen. Aber es schien der Plan der Brüder zu sein, dort erst einmal ein paar Erfahrungen zu sammeln und einige leichte Kämpfe auszufechten, um dann im Anschluss durch die Marsch in Richtung Gomoa zu gehen. Ich könnte gut darauf verzichten, in der Halborkstadt auf Diebestour zu gehen. Wenn diese Halbwilden einen dabei erwischen, wie man in ihre dreckigen Taschen greift, kochen sie einen wahrscheinlich zur einer Suppe aus, um diese dann der altersschwachen Großmutter zum Löffeln zu geben, während sie selbst ihre eigenen Kinder verspeisen. Aber ich habe den Zwergen gesagt, dass es auf den Inseln viele Verstecke der Flusspiraten gebe, in denen zahlreiche wertvolle Schätze zu 3 finden seien. Mit ein bisschen Glück könnte man dort vielleicht sogar einen seltenen magischen Schatz finden. Genau einen solchen sollen sie ihrem Vater nämlich präsentieren, haben die drei vollmundig nach dem fünften Bier erzählt. Der alte Herr traut seinen Sprösslingen tatsächlich allerhand zu. Die Inseln wären zumindest ein guter Ort, um sich die Taschen mit Gold vollzuschlagen, wenn man es geschickt anstellt. Aber noch ist dieser Ort zu gefährlich für uns – insbesondere für die drei Brüder. Es wäre sowieso am klügsten, wenn ich sie dazu brächte, sich in Abendheim oder einer anderen kleinen Ansiedlung im Taschendiebstahl zu üben. Dann hätte ich einen ersten Beweis für ihre illegalen Aktivitäten und könnte sie überführen. So lautete mein Auftrag. Wie ich dann Verstärkung anfordern sollte, um sie dingfest zu machen, hatte man mir nicht mitgeteilt. Das war dann meine Sache… 
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 +Ich verabschiedete mich von den drei mittlerweile ziemlich betrunkenen Gesellen und verließ mit ihnen das Wirtshaus. Als ich ihnen nachsah, wie sie in Richtung Marktplatz torkelten, um wahrscheinlich noch am Schimpfwettstreit teilzunehmen, den die Bettlergilde wöchentlich ausrichtete, wurde mir plötzlich klar, dass sich mein Leben in den nächsten Wochen erheblich ändern würde. Heinrich hatte tatsächlich Recht. Doch ich würde nicht nur auf mein Bett verzichten müssen, sondern auch auf das Gemeckere meines ewig griesgrämigen Chefs. Er hatte sich bis zum Hauptverantwortlichen der Grenter Dorfpolizei hochgearbeitet, war aber mit dieser Stelle hoffnungslos überfordert. Spätestens als einige Mitglieder des Diebes-Zwergenclans, zu dem meine drei neuen „Freunde“ gehören, bei dem wohlhabenden Zauberer Magnus eingebrochen sind und dessen nahezu unbezahlbare Kristallkugel gestohlen haben, stand er unter einem solchen Druck, dass sein tief hängendes Augenlid überhaupt nicht mehr aufhören wollte zu zucken. Doch man konnte dem Clan leider nichts nachweisen. Sie hatten keine Spuren hinterlassen und der Vater, den man in Traumburg aufgriff, lachte bei der versuchten Verhaftung nur hämisch. Magnus beharrte darauf, dass man ihm seine Kristallkugel wiederbeschaffte. „Das wird man doch wohl von der Polizei erwarten dürfen“, polterte er im Büro meines Chefs, der daraufhin kurz davor war, in Tränen auszubrechen. Als er mich, der zum Kaffeeholen abkommandiert war, auf der Türschwelle stehen sah, erklärte er, dass er mich damit beauftragen werde, mich als Maulwurf bei den jungen Söhnen des Vorsitzenden des Zwergenclans einzuschleusen, um sie auf frischer Tat zu ertappen. Es war bekannt, dass die Sprösslinge des Clanvorsitzenden bald sozusagen auf die Walz gehen. Da würde sich dieses Vorgehen anbieten. Dieser spontane Einfall schien den wütenden Zauberer zu beruhigen. Und jetzt hatte ich den Salat. 
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 +Aber zumindest war ich erst einmal meinen alten Zausel von Chef los. Sollte er doch allein die Wände hochgehen. Ich würde mir in den nächsten Wochen sein Geschrei nicht mehr anhören müssen. Vielleicht wird die nächste Zeit doch gar nicht so übel, dachte ich mir, als ich durch die abendlichen Straßen von Traumburg ging. In ein paar Wochen würde ich genügend Beweise zusammenhaben, um die Brüder für eine längere hinter Gitter zu bringen. Und im Idealfall plaudern sie vielleicht sogar aus, wo sich die Kugel von Magnus befindet. Damit wäre meine Beförderung sicher. Bis dahin hieß es für mich jedenfalls viel frische Luft, das ein oder andere Abenteuer und vielleicht auch hier und da mal ein junges Fräulein. So schlecht waren sie Aussichten also im Grunde genommen gar nicht. 
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 +Während ich am nächsten Morgen zum vereinbarten Treffpunkt stapfte, wurde mich klar, dass es vielleicht doch sinnvoll sein könnte, noch ein paar Heiltränke zu kaufen. Man hatte mir genügend Geld mitgegeben. Und bevor mich die Zwerge im Schlaf ausraubten – was ich ihnen ohne weiteres zutraute –, sollte ich das Geld wohl besser in etwas investieren, das uns dabei helfen könnte, zumindest die ersten Tage ohne große Verletzungen zu überstehen. Vielleicht fanden wir auch ein gefährliches Verlies, in das man sich ohne Heiltränke sowieso besser nicht hineintrauen sollte. Aber dort gab es oftmals wertvolle Schätze zu holen. Daher würden die völlig selbstüberschätzten Zwerge vermutlich nicht davon abzubringen sein, sich kopflos und ohne weitere Umschweife in solch ein Verlies zu stürzen. 
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 +Nachdem ich drei Heiltränke und etwas Proviant für die Reise erstanden hatte – Pökelfleisch, Brot, Schinken und Pfeifenkraut –, ging ich schließlich zum „Anker“, wo schon die drei Brüder warteten. Thoma sah so aus, als ob er immer noch das Erbrochene von der gestrigen Nacht in seinem Bart hatte. Ich hatte die drei gestern noch gesehen, wie sie grölend durch die Straßen gezogen und alle naselang in die Gosse gestürzt sind, um sich laut lachend wieder aufzurichten und weiterzuwanken. Es würde sicherlich ein ungeheures Vergnügen sein, mit drei verkaterten, unerfahrenen und überheblichen Zwergen durch die Felder oder Wiesen zu stapfen. Aber vielleicht hatte ich ja Glück und den drei war immer noch so übel, dass sie bei unserer ersten Rast nichts essen wollten. Dann bliebe wenigstens genug für mich, um mir ein gediegenes zweites Frühstück einzuverleiben. 
 + 
 +„Also Jungs, wohin soll es gehen? Wiesen, Felder oder lieber gleich in die Schlucht?“, fragte ich in die Runde. 
 + 
 +„Felder!“ – „Nein Wiesen, da können wir die Bauern bei der Heuernte bestehlen.“ – „Aber die haben doch nichts, lass uns in den Feldern Goblins vermöbeln.“ – „Ich will aber in die Wiesen!“ – „Können wir nicht in die Kapelle des Chaos gehen, die auf dem Weg nach Abendheim liegt? Davon habe ich schon so viel gehört? – „Nein, ich will in die Felder!“ So ging das geschlagene 10 Minuten, bis ich beherzt einschritt und sagte, auch ich wolle in die Felder, sodass die anderen überstimmt waren und wir endlich losgehen konnten. 
 + 
 +Das fing ja gut an, dachte ich entnervt, als sich unser kleiner Trupp von drei hässlichen Zwergendieben und einem schneidigen Halblingkämpfer in Bewegung setzte. Wenigstens war das Wetter sonnig. Die Ähren wiegten sich im Wind und das Ganze hatte etwas von einem spätsommerlichen Ausflug. Immer wieder sahen wir Bauern, die mit der Ernte beschäftigt waren. Irgendwann kamen wir auf einen gut gepflegten Feldweg, der das Gehen noch leichter machte. Wenn ich die nicht enden wollenden Streitereien der Zwergenbrüder gedanklich ausblendete, gestaltete sich der Tag bis jetzt sehr angenehm. 
 + 
 +Bis jetzt – denn plötzlich stellte sich uns ein gut gekleideter Mann mit drei Gefolgsleuten in den Weg. „Ihr da, stehenbleiben!“, herrschte er uns an. 
 + 
 +„Ja, guter Mann? Wie können wir Euch helfen?“, fragte ich, wobei ich mich zwang, so freundlich wie eben möglich zu klingen. 
 + 
 +„Sei nicht so frech, Halbling!“, blaffte der Mann. „Ich bin Baron Ackermann und ihr geht auf meinen Feldwegen. Das macht einen Wegzoll von 3 Gold für jeden von euch. Wird’s bald!“ 
 + 
 +Bevor ich etwas Weiteres sagen konnte, war es auch schon passiert. Golo zog seine Axt und baute sich drohend vor dem Mann auf. Dies sah übertrieben lächerlich aus, da der Zwerg dem Baron nur etwa bis zur Schulter reichte. Wenn ich nicht gewusst hätte, dass es gleich gewaltigen Ärger geben würde, hätte ich laut lachen müssen. So musste ich mich blitzschnell entscheiden, ob es nun klüger war, diesen Kampf auszufechten oder lieber beschwichtigend einzuschreiten. Ich entschied mich für Letzteres. 
 + 
 +„Guter Mann, hier habt Ihr 12 Gold. Und entschuldigt unseren Freund, er ist von gestern noch nicht ganz ausgenüchtert.“ Ich gab dem grimmig dreinschauenden Baron mein letztes Geld. 
 + 
 +„Na denn, aber passt auf den Kleinen auf. Der nächste, dem er in dieser Weise begegnet, ist vielleicht nicht so nachgiebig.“ Baron Ackermann nahm mir das Geld aus der Hand und rümpfte noch einmal die Nase. Dann nickte er seinen Gefolgsleuten zu und verschwand mit ihnen in die entgegengesetzte Richtung. 
 + 
 +„So geht das nicht, Golo!“ Ich packte den Zwerg an der Schulter. „Das hätte auch schiefgehen können.“ 
 + 
 +Golo riss sich von mir los. „Ich hätte ihn verdroschen. Was fällt dem ein, uns Geld dafür abzunehmen, dass wir seinen Weg benutzen. Wofür hält sich der Mensch? Dieser verdammte, dreckige, dämliche….“ Der Zwerg krakelte noch eine ganze Weile herum, doch man konnte ihm ansehen, dass er eigentlich erleichtert war, dass es nicht zu einem Kampf gekommen war. Wahrscheinlich hatte er Angst, dass seine Brüder seine Erleichterung bemerkten, und so beschimpfte er mich mit Wörtern, die ich bisher noch nicht gehört hatte. Ich ließ Golo also meckern. Mir war es egal. 
 + 
 +Langsam dämmerte es. Es wurde Zeit, ein Nachtlager aufzuschlagen. Golo keifte immer noch. Den ganzen Weg ist er nicht von meiner Seite gewichen, um mir immer wieder neue Schimpfsalven entgegenzuschleudern. Ich bekam langsam ein helles Pfeifen auf dem rechten Ohr. 
 + 
 +„Lasst uns einen geeigneten Platz suchen, um ein Lagerfeuer zu machen“, sagte ich in der Hoffnung, das Geplärre an meiner Seite würde dann endlich Ruhe geben. Tatsächlich wurde Golo plötzlich still, aber nicht, um endlich von mir abzulassen. Denn seine plötzlich hochschnellende Hand deutete an, dass er an wohl etwas entdeckt hatte und uns bedeutete anzuhalten. 
 + 
 +„Pssst!“, machte er. „Da hinten sehe ich drei Gestalten, die sich gerade hinter einem Busch versteckt haben. Wahrscheinlich wollen sie uns auflauern. Kann sein, dass es Goblins sind. Wenigstens die will ich heute verdreschen.“ 
 + 
 +„Ich hab sie auch gesehen. Es sind wirklich Goblins, sie scheinen nur leicht bewaffnet zu sein“, zischte schließlich auch Thoma. „Lasst uns einfach weitergehen. Wenn sie aus dem Busch springen sollten, um uns zu überfallen, machen wir sie fertig.“ 
 + 
 +Alle waren einverstanden, auch ich. Mit drei Goblins sollten wir wohl fertigwerden. Und tatsächlich. Als wir an den Busch kamen, sprangen plötzlich drei abgerissene Goblins hervor. Zwei hatten jeweils einen Dolch, der dritte trat uns mit bloßen Fäusten entgegen. Was dann geschah, kann man sich leicht vorstellen. Ich überließ die Unglücklichen den drei Zwergen, die sie netterweise nach einer Tracht Prügel weglaufen ließen. In den Händen von Golo klimperten ein paar Münzen. „Ha, so haben wir den Wegzoll von Baron Ackergaul wenigstens zum Teil wieder drin“, verkündete er und steckte das Geld in die Taschen. Die Bemerkung, dass ich den Wegzoll mit meinem Geld bezahlt und den Zwerg damit aus der Patsche geholt hatte, schluckte ich herunter. Es hatte ja doch keinen Zweck. 
 + 
 +Auch im Errichten des Nachtlagers waren die drei Zwerge keine besonders große Hilfe. Ich hatte in der Ebene schon oft mehrtägige Wanderungen gemacht, sodass ich durchaus in der Lage war, Feuer zu machen und notdürftig mit Ästen und Blättern eine Art Zeltdach herzurichten, unter dem wir uns schließlich zusammenkugelten und einschliefen. 
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 +---- 
 + 
 +Ich war der Erste, der erwachte und das Frühstück herrichtete. Wer auch sonst? Als die drei Brüder sich endlich dazu bequemten aufzustehen, beklagten sie sich auch sogleich, dass ich keine Eier gebraten hätte. 
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 +„Wir haben keine Eier. Wenn ihr welche haben wollt, hättet ihr entsprechend Proviant mitnehmen sollen.“ Die Frage, was denn die Zwerge an Proviant beisteuern könnten, sparte ich mir. Ich wusste die Antwort schon. Wir würden wohl direkt nach dem Frühstück nach Abendheim gehen müssen, um uns ausreichend mit Essen zu versorgen, damit wir dieses Mal ein paar Tage länger in den Feldern bleiben und vielleicht auch noch einen Abstecher in die Wiesen machen könnten. Glücklicherweise konnten wir uns gestern noch an den Goblins bereichern, sodass wir auf dem Markt nicht mit leeren Taschen dastanden. 
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 +Also gingen wir nach Abendheim. Ich mochte die Ansiedlung. Hier waren die Menschen viel entspannter als in Traumburg. Man konnte ungezwungener mit den Leuten in den Schenken plaudern und die Straßen waren auch viel sicherer. Naja, jetzt wo ich mit den Zwergendieben anrückte, wohl nicht mehr. Aber wir hatten uns vorgenommen, nur schnell Lebensmittel zu kaufen und dann wieder ins Grün zu wandern. 
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 +Wir hatten Glück, heute war Markttag und die Auswahl war für dieses kleine Dorf recht beachtlich. An einem Stand, der verschiedene Arten von Bögen und Armbrüste feilbot, blieb ich stehen und betrachtete die Kurzbögen. So einen wollte ich immer schon haben. Vielleicht würden wir ja doch zumindest einen normalen Schatz finden. Und wenn die Brüder wenigstens halbwegs gerecht mit mir teilten, würde ich mir vielleicht solch einen Bogen leisten können. Wo waren die Gesellen eigentlich, ich hatte sie beim Betrachten der Auslage des Marktstandes ganz aus den Augen verloren. Hoffentlich machten sie keinen Unsinn, dachte ich noch, als von dem Stand des Hühnerzüchters Roland Geschrei zu mir herüberdrang. „Räuber, Diebe, haltet sie!“ Wie ein geölter Blitz rannten die Zwerge über den Marktplatz. Ich wunderte mich, dass sie mit ihren kurzen Beinen überhaupt so schnell laufen konnten. Zwar war auch ich nicht viel größer, aber dafür umfasste mein Körperumfang nur ungefähr die Hälfte von dem, was die Brüder jeweils mit sich herumzuschleppen hatten. Doch  ihre beherzte Rennerei nützte den dreien nicht viel. Mehrere kräftige Bauern stellten sich den Flüchtenden in den Weg und hoben drohend ihre Fäuste. 
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 +„Habt ihr etwa versucht, unserem Roland ein Hühnchen zu stehlen?“, polterte einer von ihnen. „So etwas dulden wir hier nicht“, brüllte ein anderer. Immer mehr Dorfbewohner kamen herbei, sodass die Zwerge regelrecht eingekesselt wurden. Gackernd hüpfte tatsächlich ein Huhn aus Heinrichs Wams. 
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 +„Macht, dass ihr fortkommt, ihr Halunken, sonst gibt es was auf eure diebischen Griffel, dass euch Sehen und Hören vergeht“, brüllte der Schmied und hob drohend seine mächtigen Fäuste. Es half nichts, ich musste mit den Zwergen auf dem schnellsten Wege das Dorf verlassen. Als der Schmied auch noch mit erhobenem Hammer hinter uns herrannte, erfasste auch mich die Panik. Wir flüchteten, so schnell wir konnten, über die steinerne Brücke – und fanden uns schließlich völlig außer Atem in der Marsch wieder. Das war nicht gut, diese Gegend war viel zu gefährlich für uns. Wir waren nicht gut genug gerüstet, um es mit den Bedrohungen in diesem Landstrich aufzunehmen. Ganz zu schweigen von der fehlenden Kampferfahrung der Zwerge… 
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 +Noch ehe ich diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, stieß ein vogelähnliches Wesen auf uns hernieder. Ihm folgte noch eines, dann noch eines und schließlich waren wir eingekreist von wütenden Harpyien, die uns in Stücke reißen wollten. Nur mit Mühe konnten wir unsere Waffen unter den wütenden Angriffen hervorholen und uns verteidigen. Plötzlich sah ich, wie Golo von zwei der kreischenden Wesen zugleich attackiert wurde. Er stürzte blutend zu Boden und verlor seine Axt. Instinktiv hechtete ich in seine Richtung und versuchte, ihn vor den Krallen der Angreifer zu schützen. Eine Harpyie konnte ich dabei mit dem Schwert erschlagen, der anderen stutzte ich einen Teil ihres linken Flügels und sie ließ von uns ab. Heinrich und Thoma schafften es, auch die anderen Harpyien in die Flucht zu schlagen. Zwei von ihnen hatten sie immerhin enthauptet. Ich wusste nicht, welchem Gefühl ich in diesem Augenblick den Vorrang geben sollte: der Erschöpfung nach diesem Kampf, der uns leicht hätte das Leben kosten können, oder der Anerkennung für die Zwerge, weil sie sich so tapfer geschlagen hatten. 
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 +Als wir schließlich unser Nachtlager aufgeschlagen hatten, herrschte plötzlich eine gänzlich andere Stimmung. Heinrich war aus Gründen, die er weder mir noch seinen Brüdern näher erklären wollte, in der Marsch heimisch und so konnten Golo und ich unsere Verletzungen versorgen und uns erholen. Doch das war nicht alles, ich hatte das Gefühl, dass sich durch den unerwarteten und lebensgefährlichen Kampf eine Art Zusammenhalt zwischen uns vieren zu entwickeln begann. Das merkte ich vor allem daran, dass mir Golo, als Heinrich und Thoma etwas abseits Zweige für ein Feuer zusammenklaubten, die Hand auf die Schulter legte und ein heiseres „Danke“ hauchte. Mehr brachte er nicht heraus, doch ich wusste, dass sein Dank aufrichtig war. „Hey, keine Ursache!“, sagte ich freundschaftlich, „nächstes Mal rettest Du mir den Arsch. Alles klar?“ An Golos aufgehellter Miene sah ich, dass er dazu gerne bereit war. 
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 +Am Feuer aßen wir das letzte bisschen Pökelfleisch und die wenigen Scheiben Brot, die ich noch bei mir hatte. Es war eine karge Mahlzeit, doch Thoma holte plötzlich einen ledernen Trinkschlauch hervor und gab ihn an seine Brüder weiter. „Du darfst auch, Arno“, sagte er grinsend, „aber Vorsicht, das Zeug hat mein Großvater gebraut. Ist nicht von schlechten Eltern!“ Ich setzte den Trinkschlauch an und nippte kurz. Eine brennende, nach Schwarzwurz schmeckende Flüssigkeit rann mir die Kehle herunter. Sofort umfing mich eine angenehme Schwere. Nach einem weiteren kleinen Schluck gab ich den Schlauch an Golo weiter, der beim Trinken den Kopf weit in den Nacken legte. 
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 +Der Abend verlief entspannt, fast behaglich. Wir vier waren alle von dem guten Tropfen angesäuselt und lagen um das Feuer herum. Ein bisschen, ein ganz kleines bisschen fing ich an, die drei Zwerge zu mögen. Heinrich erzählte großartige Witze, über die wir uns minutenlang den Bauch haltend amüsierten. Thoma kannte einige spannende Gruselgeschichten und verstand es, sie ausgeschmückt und anschaulich darzubieten. Als schließlich Golo, der von dem starken Schnaps in nicht geringem Maße rührselig geworden war, erzählte, dass er viel lieber Goldschmied geworden wäre, anstatt ebendieses anderen Menschen zu stehlen, sah ich die drei plötzlich aus anderen Augen. Sie standen wohl unter einem erheblichen Druck, den ihr Vater auf sie ausübte. Fast schon unter Tränen gestand Heinrich, dass jener gesagt hätte, dass sie gar nicht mehr nach Hause zurückkommen bräuchten, wenn sie nicht beweisen könnten, dass sie als Diebe etwas taugten. Dabei würde er, Heinrich, von Herzen gerne Tischler werden. Doch seine selbstgebauten Stühle und sogar die Holzeisenbahn, die er für seinen kleinen Cousin gebastelt hatte, habe sein Vater wütend zerschlagen mit der Aussage, dass richtige Diebe ihre Hände für lukrativere „Geschäfte“ gebrauchen würden als nur für ein paar lumpige Sitzgelegenheiten. Ich erkannte nun, dass die drei nicht ganz freiwillig auf diese Reise gegangen waren. Am verzweifeltesten war Thoma, der erst kürzlich Vater geworden war. Zwar konnte er noch bei der Geburt seines Sohnes – „ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was für ein Prachtkerl er ist“, schwärmte Thoma mit leuchtenden Augen – dabei sein, doch nur wenige Tage später musste er mit seinen Brüdern 10 diese „vermaledeite Reise“ antreten, klagte er. Wenn er Pech habe, verpasse er die ersten Schritte seines Sprösslings, vielleicht sogar seine ersten Worte. Ich verstand, in was für einer miserablen Lage die drei Zwerge sich befanden und sie taten mir tatsächlich leid. Nachdem ich schließlich Golo beruhigt hatte, der sturzbetrunken angefangen hatte, laut zu schreien, er würde sich diese Schikane von seinem Vater, dem „großen Räuberhauptmann“, wie er spöttisch ausrief, nicht länger gefallen lassen, legten wir uns schlafen. 
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 +Der nächste Morgen war anders als der letzte. Ziemlich ratlos sammelte ich meine Habseligkeiten zusammen, die mir aus den Taschen gefallen waren, als ich des Nachts torkelnd zum Pinkeln in die nahe gelegenen Büsche gegangen war. Wo sollten wir nun hin. Es sah fast aus, als ob die Zwerge, durch Golos nächtlichen Wutanfall befeuert, den Anweisungen des Vaters nicht mehr Folge leisten wollten. Doch was nun? Und was wurde dann aus meinem Auftrag? Wie konnte ich dann die drei Zwergendiebe überführen? Und wollte ich das überhaupt noch? Als wir zum Aufbruch bereit waren, schlugen die Zwerge vor, erst einmal nach Gomoa zu gehen. Das Bier sollte dort stark und die Wirtshausschlägereien rau sein. Ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Sogar die derbe Wesensart der drei Brüder fand ich mehr und mehr sympathisch. Und die Idee, nach Gomoa zu gehen, gefiel auch mir. Dort veranstaltete man regelmäßig Barfußcrossläufe. Das wäre etwas für mich. Ich blickte auf meine haarigen Füße. Die halten einiges aus. Das wird ein Spaß! Scherzend gingen wir also in Richtung der Halborkstadt. Wir sahen schon von weitem das hohe Stadttor, als sich uns plötzlich vier bewaffnete Halblinge in den Weg stellten. Ich traute meinen Augen nicht. Es war Geraldo mit Matti, Bürgi und Steini im Schlepptau. „Soso, wen haben wir denn da?“, fragte Geraldo süffisant, „warum haben wir von dir noch keine Meldung erhalten. Ich wusste es, dass du es nicht schaffst die drei Dickwanste hier zu überführen, du Niete! Stattdessen trödelst du mit ihnen hier fröhlich durch die Lande.“ Mein Kollege aus Grent hatte es mir also doch übel genommen, dass ich den Auftrag erhalten hatte, mich bei den Zwergendieben einzuschleusen. Dass er gerne an meiner statt die Zwerge ausliefern und sich dadurch seine Beförderung sichern wollte, wusste ich. Doch dass er mich dafür sogar bis nach Gomoa verfolgt, hätte ich nicht gedacht. Aber was hatte ich anders von Geraldo erwartet. Der lügenhafte Intrigant hatte sich den Auftrag schließlich auch noch selbst versaut, da er dabei erwischt wurde, Bestechungsgelder anzunehmen. Und jetzt steht dieser 11 Abschaum tatsächlich mit seinen Schergen vor mir. Was er vorhatte, konnte ich mir schon denken. „Haben wir euch endlich, ihr Diebespack. Wollen wir doch mal sehen, was ihr in den Taschen habt. Das sollte dann ja Beweismittel genug sein.“ Geraldo griff Thoma in die Taschen, der sich nicht schnell genug dagegen wehrte, und brachte einen Smaragdring zum Vorschein. „Aha, Diebesbeute! Und Du Arno, wann gedenkst du endlich die drei dingfest zu machen, wie es deine Aufgabe war?“ Die drei Zwerge schauten mich an. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Alles wäre in dieser Situation falsch gewesen, also schwieg ich und schaute Geraldo nur aus zusammengekniffenen Augen an. „Das ist mein Ehering“, rief Thomas aus, „er wurde ehrlich erworben und ist sicherlich nicht gestohlen. Gib ihn mir sofort zurück!“ „Halt Dein dummes Maul, du ungewaschener Zwerg!“, herrschte ihn Geraldo an und steckte den Ring in seine Tasche. Ihr seid hiermit verhaftet, wir bringen euch nach Grent, dann geht es hinter schwedische Gardinen. Legt eure Waffen ab.“ „Wir denken ja gar nicht dran, du Pfeife!“ Golos gewohnt provokanter Tonfall war in dieser Situation tatsächlich einmal angebracht. „Wenn du unsere Waffen willst, musst du sie dir schon selbst nehmen, du Pflaume.“ Alle drei Zwerge zogen ihre Äxte und machten sich kampfbereit, die drei Halblinge stürzten sich auf sie. Ich schaute mir das Geschehen kurz ein wenig irritiert an, dann griff ich nach meiner Schleuder und zielte auf Geraldos Kopf. Sein alberner Helm rutsche ihm über die Augen, als der Stein gegen ihn schlug. „Ja, bist du deppert? Was soll das?“ rief Geraldo halb verdutzt, halb wütend.“ Doch ich hatte mich schon zu den Zwergen gestellt und zog mein Schwert. Der Kampf dauerte ungefähr eine halbe Stunde. Als die vier liederlichen Halblinge schließlich blutend und fluchend das Weite gesucht hatten, verband ich Thoma den Arm. Er schien gebrochen zu sein. Auch Heinrich konnte sich kaum auf den Beinen halten. Wir mussten schleunigst nach Gomoa, um die beiden zu versorgen. Was danach geschehen würde, mochte ich mir nicht vorstellen. Es herrschte betretenes Schweigen, als die Zwerge und ich uns in die Halborkstadt schleppten. Kurz bevor wir an dem Stadttor ankamen, traf mich plötzlich eine Faust. Als ich die Augen wieder aufmachte, stand über mir Golo und sah mich grimmig an. „Steh auf, du Verräter, damit ich dir noch eine verpassen kann“, brüllte er und versuchte, mich am Kragen auf die Beine zu ziehen. Ich ließ es geschehen und stellte mich aufrecht hin, 12 um bereitwillig den nächsten Schlag entgegenzunehmen. Ich hatte das Gefühl, dass ich ihn verdient hatte, also blieb ich nur schlaff stehen. Golo holte ein zweites Mal aus, doch er ließ seinen Arm wieder sinken. Stattdessen warf er sich auf mich und riss mich wieder zu Boden. Lange wälzten wir uns so auf dem schlammigen Untergrund hin und her. Golo rief immer wieder „Verräter! Verräter!“ Dann blieben wir erschöpft liegen. Die anderen beiden Brüder starrten nur ausdruckslos auf uns herunter. Dann merkte ich plötzlich, dass Thoma neben mir weinte. „Ich dachte, du meinst es ernst mit uns“, stieß er mit gebrochener Stimme hervor. „Als wir gegen die Harpyien gekämpft und dir danach unser Herz ausgeschüttet hatten, dachte ich, du gehörst zu uns. Aber du bist doch nur ein mieser, kleiner Spitzel, der sich nicht zu schade ist, sein Geld damit zu verdienen, andere hinters Licht zu führen.“ „Nun, viel besser seid ihr aber auch nicht“, machte ich einen schwachen Verteidigungsversuch. „Immerhin hattet ihr zu Beginn der Reise vor, eurem Vater nachzueifern. Besonders ehrlich ist sein Beruf auch nicht.“ „Aber er hat Ehre!“, rief Thoma. „Ihm ist völlig klar, wer die Seinen sind, und er verhält sich auch entsprechend. Mag er auch noch so ein herrschsüchtiges Ekel sein. Niemals würde er einem Kumpan in den Rücken fallen. Das macht man einfach nicht.“ Was sollte ich dazu sagen? Thoma hatte Recht und ich fühlte mich elendig. Das Einzige, was ich jetzt noch tun konnte, war die Verletzten nach Gomoa zu schaffen und mich dann aus dem Staub zu machen. Doch wo sollte ich hin? Während ich zusammen mit Golo den verletzten Heinrich schleppte, der immer wieder ohnmächtig zu werden schien, wurde mir allmählich klar, dass das Leben, so wie ich es kannte, jetzt endgültig vorbei war. Geraldo und seine treudoofen Schergen werden natürlich in Grent sofort von meinem Überlaufen erzählen. Ab dann war ich auf der Flucht. So leicht würden mein Chef und Geraldo es mir nicht machen. Sie werden mich durch ganz Ultimor jagen und wenn sie mich gefunden haben, werden sie mich vor einem Disziplinargericht verurteilen. Ach, was rede ich, sie werden mich an Ort und Stelle abmurksen und meine Leiche verstecken. Ich fing an zu rechnen: Bis die vier in Grent ankommen, würden einige Tage vergehen, immerhin waren sie nicht weniger verletzt als wir. Doch dann würde es für mich haarig werden. Ich weiß nicht, was ich mehr bedauern sollte, den Verlust meines Jobs, meiner Existenz, meines bisherigen Lebens oder die ständige Angst, der ich von nun an ausgesetzt war, bis sie mich finden werden. Endlich kamen wir in Gomoa an. Das Geld für den Einlass am Stadttor konnten wir gerade noch so bezahlen. Für ein Zimmer in einem Gasthaus reichte es nicht mehr. Ich gab den 13 Zwergen meinen Knochentalisman, den ich von meinem Vater erhalten hatte, und sagte, sie sollen ihn zu Geld machen für ein Hotelzimmer und einen Orkschamanen, der sich um Thoma und vor allem Heinrich kümmern sollte. Ich würde im billigsten Zimmer des Gasthauses übernachten und morgen fort sein. Mehr könne ich nicht tun. Die Zwerge nahmen den Knochentalisman fast respektvoll. „Von deinem Vater ist er, Arno?“, fragte Golo und drehte den hübsch gearbeiteten Talisman, dem man ansah, dass er schon sehr viele Jahrzehnte alt war, zwischen den Fingern. „Das ist mein wertvollster Besitz“, sagte ich und blickte auf den Wirtshaustisch. „Das ist alles, was ich noch geben kann. Es tut mir leid. Kümmere dich jetzt bitte um Thoma und Heinrich.“ Thoma stöhnte, er musste dringend seinen Arm fachgerecht schienen lassen. Und wenn Heinrich nicht bald ärztliche Hilfe bekam, würde es schlimm für ihn ausgehen. Golo sah verzweifelt den Wirt an, der bereits herbeigeeilt war und mitteilte, dass sein Gehilfe schon Magnatz, den Orkschamanen, gerufen habe. Er werde bald da sein. Tatsächlich trat nach wenigen Minuten ein gewaltiger Halbork durch die Wirthaustür. Er hatte grüne Haut und gewaltige Hauer im Gesicht. Doch er sprach zu uns mit einer freundlichen Stimme und bat Golo und mich, die beiden Verletzten in den Nebenraum zu bringen, in dem an jedem Abend Karten gespielt wurde, der aber jetzt noch leer war. Als er wieder herauskam, bestellte er Milch mit Schnaps, nahm einen großen Schluck und sah den sichtlich besorgten Golo und mich an. „Der stark verletzte Zwerg wird es schaffen. Er ist wieder bei Bewusstsein, schläft aber jetzt auf einem Heuhaufen in der Ecke des Zimmers. Gebt ihm regelmäßig von diesem Trunk.“ Der Schamane hielt uns ein Fläschchen mit einer milchigen, widerlich riechenden Flüssigkeit entgegen. „Karak-Milch“, sagte er, „sie wird ihm helfen, wieder zu Kräften zu kommen. Der andere hat den Arm gebrochen. Ich habe ihn mit einem Kräutersud eingerieben und geschient. Er wird in wenigen Wochen wieder wie neu sein. Jetzt kommen wir zu meiner Bezahlung.“ Golo gab ihm zögernd den Knochentalisman und sah mir vorher noch einmal in die Augen. Ich deutete mit einem Kopfnicken an, dass er es in Ordnung ist. Der Schamane nahm den Talisman und betrachtete ihn. „Er ist viel wert. Mehr wert als meine Heilkunst. Bitte nehmt das hier als Wechselgeld.“ Der Schamana gab Golo eine Handvoll Münzen. Dieser wollte mir das Geld geben, doch ich wehrte ab und sagte, dass damit das Zimmer im Gasthaus und das Essen für ein paar Tage bezahlt werden könnten. Ich selbst würde mich morgen auf den Weg machen. 14 „Wir haben nur Mehrbettzimmer“, knurrte der Wirt. „Ihr Winzlinge könnt euch ein Zimmer teilen… und dann wäre immer noch Platz für zwei Mann. Seid froh, dass es keine weiteren Gäste gibt.“ Ich schaute Golo zweifelnd an, doch dieser bedeutete mir, wenn auch Augen rollend, dass es in Ordnung sei, wenn ich mit den Zwergen in ihrem Zimmer schliefe. Wirklich recht schien es ihm also doch nicht zu sein. Aber er brachte es wohl auch nicht übers Herz, mich in die nächtliche Kälte hinauszuschicken, nachdem ich den Schamanen entlohnt und das Wirtshauszimmer für die Zwerge bezahlt hatte. Wir verfrachteten die beiden Verletzten in ihre Betten. Heinrich schlief bereits so tief, dass wir ihn nicht aufwecken konnten und die Treppen hinaus tragen mussten. Thoma hielt seinen Arm und wollte auch sofort schlafen. „Es tut mehr weh als vorher“, beklagte er sich. Aber der Schamane hatte uns gesagt, dass die Tinktur, mit der er den gebrochenen Arm von Thoma eingerieben habe, seine volle Wirkung entfaltet habe, wenn sie anfinge auf der Haut zu brennen. Dass Thoma zeterte war also ein gutes Zeichen. Auch Golo und ich legten uns ins Bett. Als dieser ebenfalls eingeschlafen war, fing ich an, meine Sachen zusammenzusuchen. Auch wenn Golo mich in dem Wirtshauszimmer übernachten ließ, war ich nur geduldet. Und ich wollte so schnell wie möglich aus dieser Schmach, in die ich mich selber gebracht hatte, ausbrechen. Nur noch fort von hier, dachte ich, während ich die wenigen Habseligkeiten, die ich mit mir führte, zu einem Bündel zusammenschnürte und aus dem Zimmer schlich. Es war schon dunkel und ich irrte durch die Straßen auf dem Weg Richtung Stadttor. Als ich das Gefühl hatte, die Orientierung nun völlig verloren zu haben, stand ich in einer kleineren Gasse plötzlich mehreren abgerissenen Halborks gegenüber. „Dein Geld, wird’s bald!“, rief der eine. „Hab kein Geld! Lasst mich zufrieden“, entgegnete ich und bereute sofort den Tonfall, den ich angeschlagen hatte. „So bloß nicht so frech, du halbe Portion“, kam es direkt von dem zweiten Halbork zurück, dabei schwang er drohend seine Keule. Ich wich zurück. Plötzlich hörte ich ein dumpfes „Klonk“ und sah wie Blut über das Gesicht des Halborks lief. Er war von etwas getroffen worden. Der dumpfe Laut wiederholte sich und er stürzte zu Boden. Die anderen Halborks zogen sich feige zurück. Da trat Golo aus dem Schatten, eine Schleuder in der Hand. „Du musst dich auch immer wieder in neuen Schlamassel begeben“, sagte er tadelnd, grinste aber dabei. „Das soll dir eine Lehre sein, geh niemals ohne einen Freund auf die nächtlichen Straßen einer Stadt, die du nicht kennst.“ 15 „Heißt das…?“, fragte ich zögernd? „Genau das heißt es“, entgegnete Golo, „egal, was du getan hast. Du hast, als es drauf ankam, zu uns gestanden. Und du warst bereit, uns deinen wertvollsten Besitz zu geben. Du gehörst zu uns, daran besteht nun kein Zweifel mehr. Aber jetzt lass uns schnell zurück ins Gasthaus, ehe diese Made hier wieder aufwacht.“ Als er dies sagte, griff er in die Taschen des bewusstlosen Halborks und holte ein paar Münzen, aber auch einen kleinen Edelstein hervor. „Aha, hast wohl noch mehr Leute ausgeraubt, du Dieb“, sagte Golo grinsend uns fügte hinzu: „Wenn man einen Dieb, der einen bestehlen wollte, ausraubt, ist es eigentlich kein Verbrechen, sondern nur ausgleichende Gerechtigkeit, nicht?“ Ich konnte nicht anders und musste ebenfalls grinsen. Dann gab mir Golo den Edelstein. Er war nur so groß wie ein Fingernagel, aber er schien kunstvoll geschliffen zu sein. „Es ist nicht das Familienerbstück, das du für uns hergegeben hast, aber vielleicht kannst du den Stein als Neuanfang sehen… mit einer neuen Familie.“ Golo schaute mich hoffnungsvoll an und fügte leise hinzu: „Uns?“ Mir traten Tränen der Rührung in die Augen und ich umarmte den Zwerg herzlich. „Du ungehobelter, versoffener Zwerg“, sagte ich lächelnd. „Du Unkraut rauchender, hässlicher Wicht“, entgegnete er ebenfalls mit einem Lächeln im Gesicht. Dann lachten wir richtig und begaben uns zurück zum Gasthaus. Der Halborkdieb regte sich schon langsam wieder. Als wir das Gasthauszimmer betraten, waren Heinrich und Thomas wach und schauten ihren Bruder und dann mich an. „Er hat dich gefunden. Gott sei Dank. Wir dachten schon, du seiest über alle Berge“, sagte Thoma. „Bin aufgehalten worden“, antwortete ich. Dann schaute ich die beiden ernst an. „Und ihr wollt auch, dass ich bei euch bleibe?“ „Auch wenn du uns ganz schön in die Bredouille gebracht hast, so kannten wir noch niemanden, der sich so für uns eingesetzt hat wie du, Arno. Und wo sollst du auch sonst hin? Deine Karriere als Polizist scheint ja zu Ende zu sein. Oder willst du uns immer noch ausliefern?“ „Nein, nein. Auf keinen Fall. Und eine Polizeiwache will ich auch nie wieder von innen sehen. Aber was habt ihr jetzt vor. Wollt ihr eure Diebes-Walz weiterführen?“ Golo schaute mich ernst an. „Wir wollen auf jeden Fall weiterreisen. Aber stehlen, betrügen, rauben? Nein. Aber von der Welt wollen wir schon noch ein bisschen sehen. Und vielleicht findet sich ja auf unserem Weg ein Tischlermeister oder Goldschmied, der uns ein bisschen was beibringen kann. Vielleicht finden wir ja in einem gefährlichen Verlies auch einen Schatz. Und es wäre uns eine Ehre, wenn du uns begleiten würdest. Dein Schwert, dein Mut 16 und vor allem deine Freundschaft sind uns willkommen. Lass uns zuerst in den Wald gehen, da kannst du dich gut vor diesem Geraldo und seinen Gefolgsleuten verstecken.“ Ich grinste über beide Wangen, so glücklich war ich. Als mir die Zwergenbrüder jeder nach dem anderen ihre Hand hinhielten, nahm ich sie und brüllte fast: „Ich bin dabei, Jungs!“ Am nächsten Morgen waren Heinrich und Thoma schon fast wieder fit. Der Schamane hatte Wunder gewirkt. Die eklige Milch und die Kräutertinktur unter dem Gips von Thoma taten ihr Übriges. Beim Schultern unserer Rucksäcke beklagte sich Heinrich bereits, dass er noch nichts tragen durfte. Und Thoma verkündete mit seinem eingegipsten Arm, dass er für den nächsten Kampf bereit sei. Beide waren schon wieder ganz die Alten. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Der Weg zum Waldrand verlief ohne größere Zwischenfälle. Dann verschwanden wir im grünen Dickicht. Hier würden uns Geraldo und seine Schergen so schnell nicht finden können. Und wenn doch, wusste ich treue Recken an meiner Seite, die noch eine Rechnung mit der Bande offenhatten. Und wer weiß, vielleicht würden wir in den Wäldern ja auch die sagenumwobene Elfenstadt finden. „Sagt mal, sind die Elfen wirklich so schwul, wie ihr sagt?“, fragte ich schließlich die Brüder. „Naja, man erzählt es so“, sagte Golo. „Aber vielleicht sind das auch nur Zwergenmärchen. In jedem Fall können wir dieser Frage bald auf den Grund gehen.“ Der Zwerg schaute mich voller Neugierde und Abenteuerlust an. „Wie geht es euch denn, wenn ihr jetzt an euren Vater denkt“, fragte ich die drei nach einer Weile. Thoma zupfte lange an seinem Bart, ehe er entschlossen sagte: „Blut ist nicht immer dicker als Wasser, Arno. Und vergiss nicht, wir vier haben zusammen schon beides geschwitzt. Und das ist das Wichtigste im Leben. Blut und Wasser.“ „Das stimmt“, gab ich zu, „Blut und Wasser – und Bier.“ Alle drei lachten. Ich stimmte mit ein.
  
  
blut_und_wasser.txt · Zuletzt geändert: 2020/08/10 20:15 (Externe Bearbeitung)